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Bild 1 von 6. Die Jugendlichen planen eine gewaltlose Demonstration: Gegen die einseitige Unterstützung der etablierten Kultur und für ein Jugendzentrum. Sie verlangen Raum für Rock- und Pop-Konzerte, Raum für sich. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 6. Als die Polizei anrückt, eskaliert der zunächst friedliche Protest zum sogenannten «Opernhauskrawall». Zu den jugendlichen Demonstranten gesellen sich Besucher des Bob Marley Konzerts im Hallenstadion. Die Polizei und die Demonstrierenden liefern sich eine Strassenschlacht rund ums Bellevue. Zum erstenmal setzt die Stadtpolizei Gummischrot ein. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 6. Zwei Jahre lang kommt Zürich nicht mehr zur Ruhe. Die Demonstrationen arten fast immer in Krawallen aus, die Demonstranten werfen Pflastersteine, die Polizei antwortet brutal mit Gummigeschossen und Wasserwerfern. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 6. Der damalige Stadtpräsident Sigmund Widmer und Stadträtin Emilie Lieberherr zeigen sich gesprächsbereit und treffen sich mit den Jugendlichen im Volkshaus. Einen Monat nach den ersten Krawallen haben sich die Jugendlichen das Autonome Jugendzentrum erkämpft. Doch das Jugendhaus scheitert, die Strassenschlachten gehen weiter. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 6. Die Gewalt erreicht für Zürich unbekannte Ausmasse. Jugendliche verlieren wegen der Gummigeschosse ihre Augen, am Bellevue verbrennt sich eine junge Frau aus Protest. Die Bilanz nach zwei Jahren: Hunderte Verletzte, Tausende Verhaftete und Sachschäden in Millionenhöhe. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 6. Endlich erfüllt sich der Wunsch der Zürcher Jugend: Die Stadtregierung überlässt ihnen die Rote Fabrik definitiv als Kulturzentrum. Bis 1990 wird das Budget für alternative Kultur verzehnfacht. Nach der roten Fabrik entstehen weitere alternative Kulturorte wie das Kanzlei oder das Jugendkulturhaus Dynamo. Sie alle gibt es heute noch. Bildquelle: Keystone.
Es gärte schon lange unter den Zürcher Jugendlichen. Jahrelang hatten ihnen die Stadtoberen eigene Räume versprochen, dieses Versprechen aber nie eingelöst. Zu einem Autonomen Jugendhaus sagte der Stadtrat Nein. Dass er stattdessen 60 Millionen Franken für die Renovation des Opernhauses bewilligte, brachte das Fass zum Überlaufen.
Am Abend des 30. Mai 1980 versammelten sich einige hundert Jugendliche vor dem Opernhaus. Geplant war ein friedlicher Protest. Doch dann lief alles aus dem Ruder.
Totales Unverständnis, auf beiden Seiten
Was die Jugendlichen mit der Bewegung wollten, wurde von den Behörden lange Zeit überhaupt nicht verstanden. Andreas Brunner, damals ein junger Bezirksanwalt, verhörte während der Jugendunruhen unzählige bewegte Jugendliche. Die Tatbestände waren stets ähnlich und klar: «Habt ihr Steine geworfen, Polizisten angegriffen?» Hingegen blieb ihm das Motiv hinter dieser Gewalt schleierhaft. Die Fronten waren verhärtet, der gegenseitige Hass tief.
Einer der Bewegten, Roger Nydegger, damals ein 22-jähriger Hausbesetzer und Student, liess sich mitreissen und schmiss auch mal Steine gegen Polizisten. Die Gewalt der Jugendlichen relativiert er: Es sei eine Reaktion auf die Polizeigewalt gewesen. Den Kampf, das Chaos habe es gebraucht: «Die Bewegung hat die Stadt Zürich wahnsinnig verändert.»
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Bild 1 von 2. Andreas Brunner machte sich 1980 selbst ein Bild von den Demos. Beim Landesmuseum erwischte ihn eine Ladung Tränengas. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 2. Roger Nydegger besetzte am Tessinerplatz ein Haus, die Jugendbewegung prägte ihn. Heute macht er Theater und Tanz (Tanztheater Dritter Frühling). Bildquelle: SRF.
Die Rolle der Musik
Es war kein Zufall, dass gerade die teure Renovation des Opernhauses die Proteste auslöste. Denn für die Musik der Jugendlichen gab es weder Raum noch Geld. Der Song der Punkband TNT «Züri brännt», in dem sich die damals 14-jährige Sara Schär die Wut aus dem Leib schreit, wurde 1980 zur Hymne der frustrierten Jugendlichen.
Für sie sei Punk damals genau das Richtige gewesen, sagt Sara Schär heute. Den Song hingegen findet sie nicht mehr so toll. Andere Bands seien ausserdem viel expliziter auf die Bewegung eingegangen.
Er hat eine Kraft, aber als Musikstück finde ich ihn jetzt nicht so wahnsinnig.
Trotzdem sind sich Szenekenner und Historiker wie Erich Keller einig: «Musik wie Punk hatte einen unwahrscheinlich starken Einfluss auf die Liberalisierung der Gesellschaft.» Die Bewegung wurde von der Musik getragen, gleichzeitig machte sie die junge Musik gesellschaftsfähig.
Vom «grauen Kämmerchen» zum «bunten Blumenstrauss»
Tatsächlich trug der Protest Früchte: Die Jugendlichen erhielten schliesslich mit der Roten Fabrik ein eigenes Kulturhaus, bis 1990 wurde das städtische Budget für alternative Kultur verzehnfacht und es entstanden weitere alternative Kulturangebote für ein jüngeres Publikum. «Das graue Kämmerchen wurde zu einem bunten Blumenstrauss», fasst es der ehemals Bewegte Roger Nydegger zusammen.
Die Stadt ist lebendig geworden.
Zumindest in diesem Punkt gibt ihm Andreas Brunner recht: «Die Spätwirkung war sehr positiv und brachte der Stadt viel Leben.»
Xenix und Dynamo: Zwei Erben der Jugendunruhen
Die Jugendlichen eroberten sich also ihren Freiraum. Etwa auf dem leerstehenden Kanzlei-Schulhausareal. Die Filmfans der Xenix-Gruppe rissen sich die Kindergarten-Baracke unter den Nagel. Seit 1984 zeigt das Xenix «politisch und sozial relevante Filme». Die politischen Überzeugungen von damals beinflussen die Film- aber auch die Getränkeauswahl bis heute. «Konzernbier gibt es hier nicht», sagt Geschäftsführer Eric Staub. Heute ist das Kanzleiareal mit dem Xenix in Sommernächten der beliebteste Treffpunkt im Kreis 4.
Auch das Jugendkulturhaus Dynamo am Limmatufer wurzelt in den 80er-Jahren. Als Nachfolgerin des «Drahtschmidli» eröffnete es 1988. Mit dem Konzept: Die Stadt stellt den Raum und das Knowhow, die Inhalte bestimmen die Jugendlichen selbst.
Bis heute beleben also Orte, die durch die Jugendunruhen entstanden sind, die Stadt Zürich.
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Bild 1 von 4. Das Jugendkulturhaus Dynamo hiess ganz am Anfang Drahtschmiedli und kam bei den Zürcher Jugendlichen gar nicht gut an. Bildquelle: SRF / Mirjam Fuchs.
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Bild 2 von 4. Beliebter Ort zum Sünnele: Die Chuchi am Wasser bleibt wegen der Coronakrise noch geschlossen. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 4. An der Ledernähmaschine: Carla Opetnik in der Textilwerkstatt des Dynamo, die bereits wieder geöffnet hat. Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 4. Xenix, das ist grosses Kino in einer ehemaligen Kindergarten-Baracke: Die Programmverantwortliche Jenny Billeter und Geschäftsführer Eric Staub. Bildquelle: SRF / Mirjam Fuchs.
Die Jugend hatte keinen Platz
Für den Psychoanalytiker Mario Erdheim hat «d'Bewegig» aber noch viel mehr bewirkt als Räume geschaffen, die bis heute bestehen. Nämlich Freiräume im Kopf: «Zürich hat sich stark verändert durch die Bewegung. Die Stadt ist im Angebot viel breiter geworden, auch punkto Ausbildungsmöglichkeiten.»
Vor den Unruhen sei es die einzige Aufgabe der Jugendlichen gewesen, erwachsen zu werden. Mit der 80er-Bewegung hat sich die Jugend einen Platz in der Gesellschaft erkämpft: «Die Jugend definiert seit dieser Zeit die Kultur.»