Wenn ein Chirurg betrunken operiert, ist das gewiss gefährlich und würde er erwischt, es gäbe einen Aufschrei. Wenn er oder sie aber völlig übermüdet am Operationstisch steht, ist das normaler Spitalalltag. Dabei, so Oberarzt Daniel Schröpfer, komme das in etwa aufs Gleiche heraus: «Es gibt Studien, die zeigen, dass wenn man mehr als 24 Stunden wach ist, dass man Personen gleichzustellen ist, die einen Blutalkoholspiegel von einem Promille haben. Das gefährdet nicht nur den Arzt, sondern auch den Patienten.»
Mehr als 24 Stunden wach zu sein ist wie ein Blutalkoholspiegel von einem Promille.
Überlange Arbeitszeiten sind bei Spitalärzten eher die Regel als die Ausnahme. Das jedenfalls scheint eine Umfrage des Verbandes der Schweizerischen Assistenz- und Oberärztinnen und Ärzte (VSAO) zu belegen.
Viel länger als erlaubt
Danach arbeiten 7 von 10 Spital-Ärzten länger als vom Arbeitsgesetz erlaubt. Das ist länger als die erlaubten 50 Stunden pro Woche. Nico van der Heiden, Leiter Politik und Kommunikation beim VSAO, sagt dazu: «Wir sind weit über dem, was bei den Spitalärzten legal zulässig ist. Im Durchschnitt wird 56 Stunden und mehr gearbeitet. Ganz viele arbeiten sieben Tage, zwölf Tage am Stück und auch pro Jahr machen sie viel zu viele Überstunden.»
Jede und jeder Vierte gibt in der Umfrage denn auch an, häufig total erschöpft zu sein. Aus der Sicht der Ärzte bestehe die Gefahr, dass sie aus dem Beruf aussteigen. «Aber auch aus Patientensicht haben wir ein Problem. 38 Prozent der Befragten haben gesagt, dass sie schon mal erlebt hätten, dass ein Patient wegen Übermüdung der Ärzteschaft gefährdet wurde», sagt van der Heiden.
Angst wolle man nicht verbreiten. Grundsätzlich seien Patienten in Schweizer Spitälern sicher. Aber eine bessere Arbeitssituation für Ärzte sei dringend. Vor allem sollten diese weniger mit Papierkram belästigt werden, verlangt VSAO-präsident Daniel Schröpfer: «Konkret fordern wir, dass die Ärzte von administrativen Massnahmen entlastet werden. Damit wären sicher viele aktuelle Probleme behebbar.»
Keine Klagen aus Karrieregründen?
Das sieht auch Werner Bauer so. Er ist Präsident des Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung, jener Institution, die die Fachärztetitel in der Schweiz vergibt. Er finde es richtig, dass die Assistenzärztinnen und Ärzte ihre Arbeitsbedingungen verbessern wollten. Ganz konkrete Klagen über Spitäler, die ihre Ärzte ausbeuteten seien ihm aber noch keine zu Ohren gekommen: «Wir würden selbstverständlich diese Weiterbildungsstätten überprüfen. Wir könnten ihnen die Anerkennung entziehen. Aber faktisch erhalten wir wenig Meldungen zu diesem Problem.»
Längst keine Aufopferungs-Ärzte mehr
Das sei auch ein Abhängigkeitsproblem, denn eine Klage könne die Karriere gefährden, kontern die Assistenzärzte. Das will Werner Bauer nicht recht glauben. Von der Vorstellung, dass sich Ärzte Tag und Nacht aufopfern müssten, habe sich auch die etablierte Ärzte-Generation verabschiedet.
Gelegentliche Sonderanstrengungen brauche es in diesem Beruf zwar immer wieder: «Aber um genügend Nachwuchs zu haben, müssen wir alles dransetzen, dass die Arbeitsbedingungen einigermassen vergleichbar mit denen sonst in der Gesellschaft sind.»
Für die Assistenzärztin Anja Zyska aus Lausanne heisst das zum Beispiel, dass es mehr Teilzeitstellen braucht. Das sei gerade für Frauen wichtig, sagt die vierfache Mutter. Sonst würden Frauen allzu häufig den Arztberuf wieder aufgeben: «Um Frauen zu ermöglichen, eine Ausbildung als Ärztin zu erhalten, und den Beruf auszuüben, ist es wichtig, Teilzeitstellen und Teilzeit-Ausbildungsprogramme zur Verfügung zu stellen.»
Mehr Teilzeitstellen, weniger Administration und kürzere Arbeitszeiten, fordern die Assistenzärzte. Und zwar nicht nur wie seit 10 Jahren im Gesetz, sondern auch in der Praxis.