Am Morgen des 21. Januars 1999 klopfte es an der Türe des Klassenzimmers von Lehrer Paul Spirig. Ded Gecaj, Vater einer Schülerin, wollte ein Gespräch mit dem Lehrer seiner Tochter.
Paul Spirig führte Gecaj ins Besprechungszimmer. Statt zu reden zog Gecaj aber eine Waffe und erschoss den damals 36-jährigen Lehrer.
Andy Prinzing hörte einen dumpfen Knall – den Schuss. Der damalige Leiter des Schulhauses Engelwies kann sich noch genau an diesen Tag erinnern: «Plötzlich stand ein Lehrer ganz aufgeregt bei mir im Büro und sagte, ich müsse schnell kommen, es sei etwas Schlimmes passiert. Wir fanden unseren Kollegen Paul Spirig tot im Besprechungszimmer.»
Von da an war im Schulhaus Engelwies nichts mehr, wie es vorher war.
Probleme waren bekannt
Als damaliger Schulleiter wusste Andy Prinzing von den Schwierigkeiten zwischen den Eltern des Mädchens und dem Lehrer. Die Schülerin durfte an keinen Anlässen der Schule teilnehmen; weder an Schulreisen noch Exkursionen.
Wir fanden unseren Kollegen Paul Spirig tot im Besprechungszimmer.
Irgendwann vertraute das Mädchen Paul Spirig an, dass sie zuhause sexuell missbraucht werde. «Dieses Mitwissen kostete wohl den Lehrer das Leben», erklärt Andy Prinzing, «Ded Gecaj wollte den Mitwisser eliminieren.»
20 Jahre später laufen die Mechanismen bei Drohungen und Gewalt in der Schule ganz anders. Aufgrund dieses schlimmen Ereignisses wurde im Kanton St. Gallen die Kriseninterventionsgruppe gegründet, welche zum Schulpsychologischen Dienst gehört.
Anlaufstelle wird rege genutzt
Heute arbeiten dort vier Fachpersonen, welche sich ausschliesslich mit Notfällen beschäftigen wie Mobbing, Gewalt, sexueller Belästigung oder Unfällen.
Die Unterstützungsangebote stehen Lehrpersonen, Schulleitungen und Schulbehörden zur Verfügung und werden auch rege genutzt. Rund 80 bis 100 Fälle werden pro Jahr insgesamt über alle Themenbereiche bearbeitet.
Fälle von Gewalt verhindert
Esther Luder, die Leiterin der Kriseninterventionsgruppe hat es oft mit schweren Fällen zu tun: «In den letzten zehn Jahren konnten wir mit dem psychologischen Bedrohungsmanagement in 40 Fällen Gewalt verhindert. Das macht uns stolz», so Esther Luder.
Andy Prinzing arbeitet heute immer noch als Schulleiter, jedoch im Kanton Thurgau in Weinfelden. Was er erlebt hat, bleibt ihm für immer in Erinnerung.
Ich konsultiere vielleicht in meinem Alltag als Schulleiter einmal öfter den Kriseninterventionsdienst.
Heute weiss er damit umzugehen. Er wurde gecoacht von einer Fachperson und kann das Erlebte einordnen. Dass nun in allen Kantonen der Schweiz solche Fachstellen gegründet wurden, kann er nur begrüssen: «Ich konsultiere vielleicht in meinem Alltag als Schulleiter einmal öfter den Kriseninterventionsdienst, um die Meinung einer Fachperson zu hören».
Doch ansonsten gehe es ihm gut. «Die Bilder aus dem Besprechungszimmer werde ich sicher nie mehr vergessen. Sie haben sich in meinem Kopf eingeprägt.»