Von weitem sieht man am grünen Hang eigentlich nur den Stall. Gebaut irgendwann vor vielen Jahren. Die dicken runden Hölzer sind von der Sonne dunkelbraun gefärbt.
Gian Derungs zeigt auf einen kleinen Anbau auf der rechten Seite des Stalls: «Da drin hatte der Bauer seine Feuerstelle und das Käselager». Der 34-jährige Bündner CVP-Kantonsparlamentarier vermietet und verkauft hier in der Val Lumnezia im romanischsprachigen Bündner Oberland Ferienhäuser und -wohnungen.
Und Derungs kennt sich aus beim Thema Maiensäss. Er hat seine Masterarbeit über diese landwirtschaftlichen Bauten zwischen dem Dorf und der Alp geschrieben.
Ställe und Hütten ohne Funktion
Jede Region hat seine eigene Maiensäss-Architektur – das kann wie hier ein Stall sein mit einem winzigen Wohnanbau oder aber ein kleines Häuschen mit einem freistehenden Stall dazu.
Die Bauten können aus Holz sein, wie hier, oder aus Stein wie zum Beispiel im Tessin. Was die Gebäude alle gemeinsam haben: Sie werden von den Bauern nicht mehr gebraucht.
Seit der Bauer Maschinen zur Verfügung hat, mit Traktoren und Heuladern unterwegs ist, weiden zwar noch die Kühe hier auf dem Maiensäss auf etwa 1800 Metern über Meer, aber den Stall für das Heu und den Wohnanbau stehen leer. Einige Bauten, vor allem die Ställe ohne Wohnanbau, sind denn auch bereits am Verfallen, haben ein eingestürztes Dach oder sind nur noch ein Trümmerhaufen.
Touristisches Potential
Gian Derungs kennt nicht nur die Geschichte dieser Bauten, er sieht in ihnen ein wirtschaftliches Potential.
Wenn hier in den verfallenden Ställen Ferienwohnungen entstehen könnten und man die kleinen Hüttchen, wo früher die Bauern wohnten, mehr erweitern könnte, den angrenzenden Stall dafür mehr nutzen dürfte, wäre das touristisch sehr attraktiv, ist Derungs überzeugt.
«Das würde dem Tal viel Wertschöpfung bringen. Unsere Wirtschaft leidet unter der Annahme der Zweitwohnungsinitiative vor acht Jahren. Würde man die Bestimmungen für Maiensäss-Bauten lockern bekäme unsere Bauwirtschaft wieder mehr Aufträge und die neuen Besitzer zahlten auch Steuern und Gebühren», sagt er.
Warteliste für Maiensässe
An der Nachfrage der Feriengäste zweifelt Derungs nicht. Er führt eine Warteliste von Leuten, die sich für ein Maiensäss interessieren. Nur ist das Angebot sehr begrenzt und die Ausbauvorschriften im Raumplanungsgesetz des Bundes sind relativ streng.
Im Falle eines Maiensässes in der Val Lumnezia bedeuten sie: Man darf den kleinen Anbau zur Ferienwohnung umnutzen und die Wohnfläche um maximal 60 Prozent in den Stall hinein erweitern, so dass man von aussen nichts sieht.
Derungs findet diese Vorschrift übertrieben strikt: «Ich verstehe nicht, warum man den Stall nicht noch mehr umnutzen kann. Man könnte hinter die Holzbalken des Stalles eine Glasfront montieren so bliebe das Bild des Stalles von aussen erhalten und man hätte trotzdem Licht in der neuen Ferienwohnung.»
Umnutzungen: «Ein Etikettenschwindel»
Es sind solche Ideen, an die Raimund Rodewald denkt, wenn er in Zusammenhang mit diesen Umnutzungen von «Etikettenschwindel» redet. Rodewald ist schon sein halbes Leben, seit 30 Jahren, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und kämpft für ein strenges Raumplanungsrecht das strikte trennt zwischen Bauzone und Nicht-Bauzone.
«Man gaukelt bei solchen Umnutzungen vor, alles beim Alten zu belassen, aber das Gebäude verliert durch die neue Nutzung jeden Bezug zur bäuerlichen Umgebung», argumentiert er. Und zu diesem «Etikettenschwindel» kämen weitere Probleme, würde man die Vorschriften lockern: Es gäbe Mehrverkehr, vielleicht müsste man neu im Winter die Strässchen räumen, die zu den Maiensässen führten.
Es wird immer mehr Ansprüche geben. Der Appetit kommt mit dem Essen.
Es stellten sich Fragen wie der Anschluss an die Kanalisation oder ans Stromnetz. «Diese Ansprüche würden entstehen», ist Rodewald überzeugt. «Der Appetit kommt mit dem Essen.»
Und noch etwas will Rodewald beobachtet haben. Die Landliebe der neuen Besitzer dieser Ferienhäuschen stosse schnell an ihre Grenzen. «Nicht selten kommt es zu Konflikten mit den Bauern. Die Städter, die im Sommer während der Heuzeit Bergferien machen, stören sich am Lärm der Bauern mit ihren Mähmaschinen und Traktoren.»
Rodewald findet darum, dass Umnutzen nach strengen Regeln wie heute in Ordnung sei, aber nicht mehr. Und es dürfe allenfalls dann mal eine Ausnahme geben, wenn es darum gehe einem brachliegenden Bauerngebäude eine neue Bestimmung für die Allgemeinheit zu geben.
Die Unterländer sehen uns am liebsten als Grossväter, die den ganzen Tag auf dem Bänkli vor der Hütte sitzen.
Seine Stiftung fördert zum Beispiel Projekte, wo Räume für Schullager oder Ausstellungen entstehen. Die rein private Nutzung findet Rodewald aber immer die schlechteste Variante. «Dann ist es besser, man lässt einen Stall verfallen. Der Verfall, der gehört seit je zu unserer Siedlungsgeschichte.»
Gian Derungs hat da eine ganz andere Perspektive. In seiner Masterarbeit hat er sich bemüht auszurechnen, was lockerere Vorschriften für Maiensässe und Ställe dem Tal an Wertschöpfung bringen würden: Das wären einmalige Einnahmen zwischen vier und gut acht Millionen Franken. Dazu kämen wiederkehrend noch einmal jedes Jahr bis zu einer halben Million. Das sei viel für ein Tal wie die Lumnezia, findet Derungs.
Aber er hat das Gefühl, dass viele Menschen im Mittelland es den Leuten in den Bergen krumm nehmen, wenn sie auch ans Geschäft dächten: «Die sehen uns am liebsten als Alpöhis mit einer Pfeife im Mund, die den ganzen Tag auf dem Bänkli vor einer Hütte sitzen.» Wenn sich dagegen ein Basler für gute Rahmenbedingungen für die chemische Industrie einsetze, störe das niemanden.
Kampf auf politischer Ebene
Sowohl Derungs als auch Rodewald haben sich mit politischen Vorstössen für ihre Sache stark gemacht. Rodewalds Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat zusammen mit anderen Umweltorganisationen eine Initiative lanciert, die in der Bundesverfassung ein für allemal die Umnutzung von Ställen und Maiensässen im grösseren Stil verbieten will (siehe Box). Die Unterschriften sind beisammen, im September soll sie eingereicht werden.
Derungs hat vor einigen Jahren zusammen mit anderen Bündner Politikern eine Standesinitiative eingereicht, die nach Bern weitergeleitet wurde und Schützenhilfe von den Wallisern bekam. National- und Ständerat haben die Forderung zwar abgewiesen. Allerdings soll nun das Raumplanungsgesetz angepasst werden und zwar so, dass die Kantone mehr Spielraum bekommen, wenn es um die Umnutzung solcher ehemals landwirtschaftlichen Gebäude geht (siehe Box).
Ob das den Durchbruch im Sinne von Gian Derungs bringt? Er klingt nicht gerade zuversichtlich, wenn er sagt: «Seit ich mich mit dem Thema befasse, sind die Vorschriften immer nur strenger und die behördlichen Hürden höher geworden. Von der Erfahrung her würde ich darum sagen, es gibt keine Lockerung, aber ich hoffe es natürlich.»