Wird das Hirn plötzlich nicht mehr mit Blut versorgt, geht es schnell ans Lebendige: Der Sauerstoffmangel lässt Hirnzellen absterben – je länger, desto mehr.
Die spezialisierten Spitäler sind auf die Behandlung der verstopften Blutbahnen immer besser eingerichtet. Laufend wird an den Abläufen gefeilt, um Patienten so schnell wie möglich die richtige Therapie zukommen zu lassen.
Auf das grösste Problem haben die Mediziner aber keinen Einfluss: Ein Drittel aller Patienten kommt zu spät ins Spital. Meist, weil die Symptome nicht richtig gedeutet werden.
Wie schwer es fällt, einen Schlaganfall zu erkennen, hat ein Versuch der Gesundheitssendung «Puls» auf dem Berner Waisenhausplatz gezeigt: Ein Schauspieler simulierte typische Symptome, zufällige Passanten wurden um Hilfe gebeten.
Das ernüchternde Ergebnis des Feldversuchs: Zwar war allen Hilfeleistenden schnell klar, dass hier ein ernster Notfall vorliegt – nur ein Drittel erkannte ihn aber als Schlaganfall und hätte folgerichtig den Notfalldienst alarmiert.
Die tiefe Erfolgsrate überrascht Neurologe Andreas Luft vom Universitätsspital Zürich nicht. Das grösste Problem: «Ein Hirnschlag schmerzt nicht.» Dadurch sei die Dringlichkeit nicht so gegeben wie bei einem Herzinfarkt, wo sich Betroffene ans Herz greifen. «Da weiss man gleich, was Sache ist.»
Die Symptome werden deshalb gerne ignoriert und unterschätzt – manchmal sogar von den Betroffenen selbst.
So geschehen bei Schlaganfallpatientin Mireille Gigandet, die unter der Dusche plötzlich auf zitternden Beinen stand. «Mein Mann wollte gleich die Ambulanz rufen. Dagegen habe ich mich heftig gewehrt: Wegen so einer Lappalie ruft man doch nicht den Krankenwagen!»
Michel Gigandet blieb hartnäckig und alarmierte 144. Zum Glück. Denn wie sich später zeigte, war der Grund der «Lappalie» eine verstopfte grosse Hauptarterie – die schlimmstmögliche Form eines Schlaganfalls. «Sehr viele Patienten, die nicht behandelt werden, sterben», weiss Neuroradiologe Jan Gralla vom Inselspital Bern, wo Gigandet damals behandelt wurde. «Und wer nicht stirbt, hat meist schwere Behinderungen.»
Wie viel Schaden bei Mireille Gigandet verhindert wurde, musste ihr Mann hautnah miterleben: «Es ging wirklich schnell. Eben noch konnten wir uns unterhalten und plötzlich ging nichts mehr.» Sie lallte und war nur noch zu unkoordinierten Bewegungen fähig. «Wie ein Maienkäfer in Rückenlage. Ein furchtbarer Anblick»
Ein Jahr später ist Mireille Gigandet der Schlaganfall nicht mehr anzumerken. Dank der Hartnäckigkeit ihres Mannes, der den Notruf lieber einmal zu viel als einmal zu wenig alarmiert hat.