Ein unscheinbarer Gebäudekomplex in Mittelhäusern im Kanton Bern. Was in der ländlichen Umgebung auf den ersten Blick wie ein stattlicher Bauernbetrieb wirkt, ist in Tat und Wahrheit ein Biolabor der höchsten Sicherheitsstufe 4.
Am 6. Februar, zwei Wochen vor dem ersten bestätigten Infektionsfall im Tessin, wurden hier Coronaviren aus Deutschland angeliefert. Im unauffälligen Wagen eines Kuriers, der auf heikle Transporte dieser Art spezialisiert ist.
So kam das Coronavirus ins Schweizer Hochsicherheitslabor
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Bild 1 von 13. Die Corona-Proben wurden von einem spezialisierten Kurier nach Mittelhäusern geliefert. Weltweit gibt es nur wenige Firmen, welche die entsprechenden Bewilligungen dafür haben. Das orange Schild markiert, dass es sich um einen Gefahrengut-Transport handelt. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 2 von 13. Die Virus-Isolate stammen aus Speichelproben der ersten Corona-Patienten in Deutschland. Die Proben sind im Paket mit Trockeneis tiefgekühlt transportiert worden. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 3 von 13. Das Paket wird der Biosicherheit übergeben, die dafür verantwortlich ist, es ins Innere des Hochsicherheitslabors zu bringen. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 4 von 13. Hier wird das Paket zur Schleuse gebracht. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 5 von 13. Durch diese Schleuse gelangen die Virus-Proben in den Versorgungstrakt des Sicherheitslevels 3. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 6 von 13. Die heikle Fracht ist unterwegs. Erst wenn die äussere Tür geschlossen ist, kann die Stahltür am anderen Ende der Schleuse geöffnet werden. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 7 von 13. Das andere Ende der Schleuse: Der Versorgungstrakt, in dem sich die Labors der Sicherheitsstufe 3 befinden. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 8 von 13. Der Virologe Philip V'Kovski zieht im Vorbereich den vorgeschriebenen Schutzanzug an, um die Virus-Proben in Empfang zu nehmen und später aus dem Paket holen zu können. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 9 von 13. Im Biosicherheitslabor 3 werden die Proben aus dem Paket genommen. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 10 von 13. Am Institut für Virologie und Immunologie gibt es nur ganz wenige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die auf diesem Sicherheitslevel 3 arbeiten dürfen. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 11 von 13. Vom Versorgungstrakt aus lässt sich die Arbeit der Virologen und Virologinnen im hermetisch abgeschlossenen Labor durch ein Fenster verfolgen. Der Warnhinweis macht deutlich, weshalb sie Schutzkleidung tragen. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 12 von 13. Und wieder eine Verpackungsschicht weniger: Die Forscher kommen den ersehnten Proben immer näher. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
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Bild 13 von 13. Am Bestimmungsort angekommen. Nun müssen die einzelnen Viren-Isolate in Zellkulturen vermehrt werden, damit das Team um Volker Thiel mit der eigentlichen Forschungsarbeit beginnen kann. Bildquelle: Institut für Virologie und Immunologie, Uni Bern.
Die Spezialistinnen und Spezialisten des Instituts für Virologie und Immunologie, die hier tätig sind, gehören zu einem kleinen und exklusiven Kreis von Forschern weltweit, die mit echten Proben des neuen Virus arbeiten.
Der Besuch kostet ein Opfer
Das Gesundheitsmagazin «Puls» durfte sie vor Ort besuchen und einen exklusiven Blick hinter die Kulissen des Hochsicherheitslabors werfen. Eine Visite unter strengen Sicherheitsauflagen, die dem TV-Team ein nicht alltägliches Opfer abverlangte: Eine kleine Videokamera, die nie mehr das Tageslicht sehen wird.
Sie nimmt die Stelle der teuren grossen Fernsehkamera ein. Denn die höchste Sicherheitsstufe gilt nicht nur beim Reingehen, sondern auch beim Rauskommen. Und die dabei fällige Dekontamination übersteht kein technisches Gerät unbeschadet.
«In dem Labor sind nicht nur Coronaviren, sondern auch andere. Da müssen wir sicherstellen, dass nichts nach draussen geht», begründet Institutsleiter Christian Griot das strikte Prozedere, dem sich Mitarbeitende wie Besucher gleichermassen unterziehen müssen.
Konkret bedeutet dies: Vor der Hauptschleuse bleibt die Fernsehkamera zurück, zusammen mit der Alltagskleidung.
Von Sicherheitsstufe zu Sicherheitsstufe heisst es, sich jedes Mal komplett auszuziehen und neu einzukleiden, bis das «Puls»-Team vor dem Bereich mit der Sicherheitsstufe 3 auf den Corona-Experten Volker Thiel trifft. Der Virologe forscht schon seit vielen Jahren mit Coronaviren.
Die Epidemie in China und der derzeitige Ausbruch weltweit geben seiner Arbeit nun noch zusätzliche Bedeutung: «Natürlich ist man sich der Verantwortung bewusst, denn wir forschen ja nicht zum Spass. Wir wollen wichtige Erkenntnisse gewinnen, um dann auch Hilfe leisten zu können.»
Diese Arbeit wird im Herz der Anlage getan. Im Labor mit Biosicherheitslevel 3 stecken die Virologinnen und Virologen in speziellen Schutzanzügen und werden durch eine Reihe weiterer Massnahmen vor einer Ansteckung geschützt. Länger als drei Stunden hält sich niemand hier auf. Jeder Arbeitsschritt ist fix vorgegeben, unbedachte Bewegungen sind tabu.
Hier hat das Team um Volker Thiel die gefrorenen Viren-Isolate zuerst in Zellkulturen vermehrt, um dann mit der eigentlichen Forschung beginnen zu können. Für «Puls» machen die Forscher das praktisch unsichtbare Coronavirus sichtbar. Und das Fernsehteam kommt dem Virus so nahe, wie man es sich im Alltag nicht wirklich wünscht.
Die Schweizer Forscher haben sich weltweit mit den anderen Labors abgesprochen, was als erstes erforscht werden soll.
Und das Team um Volker Thiel konnte innerhalb von nur einer Woche einen ersten Erfolg verzeichnen: Es verbesserte eine Methode, mit der sich viel schneller synthetische Klone des Virus herstellen lassen.
Weltweite Anerkennung für Schweizer Erfolg
Ein entscheidender Schritt, der den Schweizern weltweit Anerkennung eingebracht hat. Zum Beispiel von Angela Rasmussen von der Columbia University in New York: «Dass es so schnell gelungen ist, das Virus in einen infektiösen Klon zu verwandeln, ist ein grossartiger Durchbruch. Es wird uns helfen, ein besseres Verständnis für die Funktion des Virus zu bekommen, um viel schneller Impfstoffe oder Therapien entwickeln zu können.»
Konkret lässt sich an diesen Klonen unter realistischen Bedingungen testen, was gezielte Eingriffe auf genetischer Ebene bewirken. Und da sich die Klone nun schneller herstellen lassen, können mehr Tests als zuvor durchgeführt werden.
Bereits wird Thiel mit Anfragen von Labors weltweit überhäuft. Alle wollen seine synthetischen Klone, um weiter forschen zu können. «Wir stossen nun vor allem Projekte an, die vielleicht noch einen unmittelbaren Nutzen haben», erklärt der Virologe das weitere Vorgehen seines Teams. «Beispielweise Desinfektionsstudien: Wie lange kann das Virus auf Oberflächen überleben? Welche Desinfektionsmittel wirken? Wie gut wirken sie?»
Wir entscheiden jetzt, vor dem Hintergrund des Ausbruchs, vor allem Projekte anzustossen, die vielleicht noch einen unmittelbaren Nutzen haben.
Dass der Klon die Erwartungen der Forscher grundsätzlich erfüllt, zeigt ein erstes gelungenes Experiment mit der neuen Methode. Dem künstlich erzeugten Coronavirus wurde ein Gen eingebaut, das Körperzellen fluoreszierend grün leuchten lässt. So lässt sich erkennen, wo und wie stark Körperzellen befallen sind.
«Das ist quasi der Nachweis, dass wir das Virus verändern können», freut sich Volker Thiel. «Wenn wir nun herausfinden, welche Gene wichtig sind und ein Medikament entwickeln, das gegen diese wirkt, dann treffen wir das Virus hart!»
Puls, 02.03.2020, 21:05 Uhr