Nicht ein einziger registrierter Fall in der Schweiz: Die Grippewelle 2020/2021 hat nicht stattgefunden.
Auf der Suche nach den Gründen besucht das SRF-Gesundheitsmagazin «Puls» das nationale Influenza-Referenzzentrum am Universitätsspital Genf, wo alle Fäden der Grippeüberwachung zusammenlaufen.
Hierhin schicken Hausärzte aus der ganzen Schweiz Proben von Grippeverdachtsfällen, wo sie wöchentlich auf Influenzaviren untersucht werden.
Auch wenn so nicht alle Grippefälle entdeckt werden können, erkennen die Wissenschaftler dank den eingesandten Proben den Verlauf der Grippewelle und die Virenstämme, die zirkulieren. Ein Verfahren, das in nationalen Referenzzentren weltweit Standard ist.
Jedes Jahr gibt es Grippe-Kurven. In der Saison 2019/2020 stieg sie ab November wie immer steil an – Ende Februar waren 450 laborbestätigte Grippefälle verzeichnet. Ganz anders 2021: In der Schweiz gibt es keinen einzigen bestätigten Grippefall.
Eine absolute Premiere für die Genfer Virologen. «Soweit ich weiss, haben wir das in unserem Überwachungssystem noch nie beobachtet», meint Ana Rita Gonçalves Cabecinhas, die Leiterin des Influenza-Referenzzentrums.
Und die Schweiz ist nicht alleine: Weltweit wurden noch nie so wenig Grippefälle registriert.
Die scheinbar frohe Botschaft macht den Virologen vom Influenza-Zentrum in Genf Sorgen. Denn sie erschwert die Herstellung eines neuen Grippeimpfstoffs. «Die Impfstämme werden aus den gerade zirkulierenden ausgewählt. Und jetzt zirkuliert fast nichts», erklärt Infektiologe Martin Schibler. «Das macht die Wahl für die nächsten Impfstoffe ein wenig zu einer Lotterie.»
Für den neuen Impfstoff ist die WHO zuständig. Die Weltgesundheitsorganisation präsentierte Ende Februar die Empfehlung für die neue Grippeimpfung – und hofft trotz wenig Informationen auf eine gewisse Schutzwirkung. Denn auch wenn die Grippewelle dieses Jahr ausgeblieben ist, zirkulieren doch immer noch Influenzaviren in kleiner Zahl.
«Puls» fragt die Leiterin des WHO-Programms, ob sie damit rechnet, dass die Grippe für die nächste Zeit kein Thema mehr ist. Wenqing Zhang winkt ab. «Die Grippe könnte jeden Moment wieder zum Problem werden, wenn sich neue Viren-Varianten bilden, die man noch nicht kennt.» Zudem bestehe das Risiko aussergewöhnlicher Grippewellen: «Normalerweise ist im Winter Grippesaison. Aber es könnte auch im Frühling oder Herbst zu Erkrankungen kommen. Sogar zu schweren.»
Für eine Entwarnung ist es also noch zu früh. Und: Je länger die Grippe ausbleibt, desto weniger ist unser Immunsystem auf einen neuen Ausbruch vorbereitet. Dagegen könnte eine – selbst weniger präzise – Impfung helfen.
Doch liesse sich die Grippe nicht ausrotten, wenn wir auch in der nächsten Saison Maske tragen, Hände waschen und Abstand halten?
Nein, sagt die Schweizer Influenza-Expertin Ana Rita Goncalves Cabecinhas. Sie glaubt nicht, dass wir für immer mit diesen Massnahmen leben werden. «Wir wissen zwar, dass sie effizient sind – aber wollen wir wirklich so daran festhalten wie jetzt? Ich denke nicht. Das Grippevirus wird zurückkommen.»