Der Einsatz dauerte schon über 19 Stunden, dann befahl Polizeikommandant Adi Achermann über seine Einsatzleitung den Zugriff. Die Sondereinheit «Luchs» stürmte am 9. März die Wohnung mit der dort verschanzten Frau, deren Sohn zuvor wegen Hanfanbaus im grossen Stil verhaftet worden war.
Die Polizei wollte deshalb auch diese Wohnung durchsuchen. Doch die Frau mit der Diagnose paranoide Schizophrenie drohte, sich zu erschiessen: Aus Angst, wieder in eine psychiatrische Klinik eingeliefert zu werden.
Nach dem Suizid der 65-jährigen Frau reichte der Anwalt des Sohnes Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung gegen die Polizeiführung ein. Ein ausserkantonaler Staatsanwalt untersucht den Fall.
Polizeikommandant verschwieg Warnung
Aus diesem Verfahren liegen der «Rundschau» Aussagen des Polizeipsychologen vor, der mit der Einsatzleitung am 9. März vor Ort war. Er habe dem Polizeikommandanten und seinem Kripochef unmissverständlich vom Zugriff abgeraten: «Aufgrund von Reizüberflutung und Intervention könnte sich die Frau das Leben nehmen.» Die Einsatzleitung solle zuwarten: «Irgendwann ist die Frau erschöpft und man hat die Möglichkeit, die Situation ohne Eskalation zu beenden.»
Doch an der Pressekonferenz verschweigt Polizeikommandant Achermann die Warnung des Psychologen und behauptet, die Einsatzleitung sei unter Einbezug aller Beteiligten zum Schluss gekommen, die Frau gefährde die Sicherheit von Polizisten und Anwohnern. Deshalb habe er den Zugriff befohlen.
Die Interventionseinheiten hätten zwei Schüsse im Treppenhaus gehört. Erst danach hätten sie die Türe aufgebrochen und die tote Frau im Badezimmer entdeckt. Laut Akten der ausserkantonalen Untersuchung wird klar: Auch diese Darstellung entspricht nicht den Tatsachen.
Zeitgleich mit einem Ablenkungsmanöver ausserhalb des Hauses öffneten die «Luchs»-Elitepolizisten die Wohnungstür gewaltsam und schickten einen Interventionshund ins Innere, um die psychisch-kranke Frau zu fixieren. Dieser kehrte aber zweimal erfolglos zurück. Erst dann habe sich die Frau erschossen.
Faktor Zeit vor Faktor Sicherheit
Der ehemalige Basler Polizeikommissär Markus Melzl hat die Akten studiert: «Der gewaltsame Gang in die Wohnung ist mit höchster Wahrscheinlichkeit kausal mit dem Suizid der Frau verbunden.» Die Einsatzleitung habe offenbar den Faktor Zeit höher gewertet als die Unversehrtheit der verschanzten Frau. Die Luzerner Einheit war nach 19 Stunden an die Grenze der Durchhaltefähigkeit gestossen und hätte teilweise durch Berner Polizisten ersetzt werden müssen.
Der Luzerner Polizeikommandant und sein Kripo-Chef nehmen mit Verweis auf das laufende Verfahren keine Stellung zu den Recherchen der «Rundschau». Die Anwälte der Beschuldigten betonen jedoch mit Nachdruck, für ihre Mandanten gelte die Unschuldsvermutung.