«Heimkommen. Sich sofort die Hände waschen. Dem Mann nicht zu nahe kommen. Nicht einmal wissen, ob man ihm einen Kuss geben soll oder nicht. Es ist schlimm.» Die Angst vor dem Coronavirus hat sich auch in den Haushalt von Silvia und Armin Cavegn geschlichen.
Armin Cavegn leidet an chronischen Schmerzen. Gegen diese hat Ärztin Barbara Loupatatzis vom Palliativ-Care-Team des GZO Spitals Wetzikon noch immer eine wirksame Therapie gefunden. Den Hausbesuch der Medizinerin nutzt Silvia Cavegn für ein Gespräch über ihre eigene Patientenverfügung. Ob die wohl auch in Zeiten des Coronavirus taugt?
Das Gespräch beginnt mit Grundsätzlichem: «Wie gerne leben Sie, Frau Cavegn?» Die Antwort nach kurzem Abwägen: «Ich lebe gern.»
Das heisse aber nicht, dass sie im Fall einer Corona-Lungenentzündung künstlich beatmet werden möchte. «Wie die Patienten auf den Bauch gelegt werden und dann so viele Stunden so verbringen müssen – nein, das will ich nicht!»
Eine Aussage, die Barbara Loupatatzis nicht zum ersten Mal hört, und für die sie grosses Verständnis hat. «Diese Bilder sind erschreckend, machen Angst. Es ist aber ganz wichtig, dass man die individuelle Situation in Betracht zieht.»
Denn die Krankheit verläuft nie gleich, ist abhängig von Ausgangszustand der Patienten und Vorerkrankungen. «Deshalb darf man diese Schreckensbilder nicht einfach 1:1 auf sich selber beziehen.»
Covid-19 bedeutet auch für Menschen über 80 nicht automatisch das Lebensende. 85 Prozent überleben die Ansteckung mit dem Coronavirus – auf den mit einem schweren Verlauf verbundenen Kampf möchten sich aber längst nicht alle einlassen.
Das zeigen zum Beispiel die Vorausplanungsgespräche, die Palliative-Care-Ärztin Barbara Loupatatzis im Tertianum Brunnenhof geleitet hat.
-
Bild 1 von 3. Im Tertianum Brunnenhof Uster leitete Palliativ-Care-Ärztin Barbara Loupatatzis Gespräche für den Notfall mit 50 Betagten. Bildquelle: SRF/PULS.
-
Bild 2 von 3. Am Ende der 50 Vorausplanungs-Gespräche im Heim zeigte sich: 26 Betagte würden zur Behandlung ins Spital gehen wollen; allerdings nur 6 von ihnen auf die Intensivstation. 20 wollen im Spital weder reanimiert noch invasiv beatmet werden. Bildquelle: SRF/PULS.
-
Bild 3 von 3. 24 Betagte möchten sowieso im Heim bleiben. Nur 5 wünschen sich hier lebensverlängernde Behandlungen, etwa mit Antibiotika. 19 Betagte wollen nur noch lindernde Massnahmen, wenn immer möglich im Heim – auch bei einer schweren Corona-Infektion. Bildquelle: SRF.
Wie soll im lebensbedrohlichen Notfall – nicht nur bei einer Corona-Lungenentzündung – mit ihnen verfahren werden? Diese Frage wurde im Auftrag der Heimleitung mit 50 Betagten geklärt.
Das Ergebnis der vor zwei Wochen beendeten Gespräche:
- 26 der 50 Befragten würden sich zwar zur Behandlung in ein Spital einliefern lassen, 20 möchten dort aber weder reanimiert noch invasiv beatmet werden.
- 24 Betagte möchten so oder so im Heim bleiben. Fünf davon wünschen sich lebensverlängernde Behandlungen, etwa mit Antibiotika. 19 wollen nur noch lindernde Massnahmen.
Auch diese Gespräche fingen mit der wesentlichen Frage an, wie es um den Lebenswillen steht. «Da wird relativ schnell klar, ob jemand noch bereit ist, für sein Leben zu kämpfen. Und wenn das ausdrücklich der Fall ist, kommt niemand auf die Idee, einem wenigstens den Versuch zu versagen.»
Viele Leute sagen aber von sich aus, dass sie das nicht mehr möchten. Hier kommt die Notfallplanung der Ärzte zum Tragen.
Hauptsache nicht ersticken
Für Corona-Patienten, die keine Spitalbehandlung wünschen, hat Palliativ-Mediziner Andreas Weber einen Notfallplan erarbeitet. Wer selbst bei schwerem Krankheitsverlauf daheim bleiben will, sollte vorbereitet sein.
Der Notfallplan hat ausdrücklich die wirksame Linderung von allfälligem Leiden zum Ziel. Die Massnahmen und aufgelisteten Medikamente orientieren sich an den Symptomen der Corona-Lungenentzündung wie etwa Husten, Atemnot, Angst, Schmerzen und Erstickungsgefühl.
Gemäss Plan sollen die Hausärzte frühzeitig Medikamente verordnen, schon bei Corona-Verdacht. Gegen qualvolle Erstickungsgefühle auch Morphin-Präparate. Denn auch wenn viele Menschen lieber im Pflegeheim oder zu Hause Abschied nehmen – ersticken will niemand.
Zurück zu Silvia Cavegn. Im Verlauf Ihres Gesprächs mit Barbara Loupatatzis hat sie ihre Meinung zur Intensivstation überdacht und eine differenziertere Sicht der Dinge gewonnen. In einer unsicheren Situation käme für sie nun im ersten Moment auch der Einsatz von Intensivmedizin in Frage. «Ja, wenn man mir klarmacht, dass es durchaus möglich ist, dass ich wieder gesund werde. Dann ja, ganz sicher.»
Ihre Patientenverfügung wird Silvia Cavegn dahin gehend ergänzen. Solange sie reale Überlebenschancen hat, würde sie auf die Intensivstation gehen. Aber nicht länger.