In einer mehrtägigen Debatte hat der Nationalrat seine Vorstellungen für eine ausgewogene Sicherung der Altersvorsorge dargelegt und sich dabei auch mit neuen Vorschlägen nicht zurückgehalten. Bundesrat Alain Berset zieht im Interview mit SRF eine erste Bilanz.
SRF News: Hätte die vom Nationalrat jetzt verabschiedete Reform eine Chance, wenn morgen abgestimmt würde?
Bundesrat Alain Berset: Ich glaube, es ist allen klar, dass es wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Nein geben würde. Ich sehe nicht, wie wir mit dem Projekt des Nationalrats die Bevölkerung überzeugen könnten. Trotzdem hat der Nationalrat jetzt einen wichtigen Schritt getan, um die Arbeiten mit Blick auf eine ausgewogene Lösung weiterentwickeln zu können. Die erste Diskussion im Nationalrat hat gezeigt, dass die Idee einer Gesamtreform der ersten und zweiten Säule tatsächlich unterstützt wird. Ebenso die Idee einer Reform, die den Erhalt des Rentenniveaus garantiert, wie dies Bundesrat und Ständerat wollen. Damit sind schon zwei sehr wichtige Sachen gelungen.
Ich sehe nicht, wie wir mit dem Projekt des Nationalrats die Bevölkerung überzeugen könnten.
Was macht Sie so sicher, dass die nationalrätliche Lösung vor dem Volk scheitern würde?
Im jetzigen Projekt gäbe es einen Automatismus, der in absehbarer Zeit zum Referenzrentenalter 67 für Frauen und Männer führen würde. Auch wäre die AHV mit der Anhebung der Mehrwertsteuer um nur 0,6 Prozentpunkte unterfinanziert. Zudem hat sich der Nationalrat bei der Kompensation für den Erhalt des Rentenniveaus über die Pensionskasse für eine sehr teure Variante entschieden – mit Kosten von 4,5 Milliarden Franken ab 2018 beziehungsweise 2020.
Nach dem Willen des Nationalrats soll man während des Erwerbslebens deutlich mehr in die Pensionskasse einzahlen, damit die Monatsrenten in Franken nicht sinken. Was ist hier der Pferdefuss?
Technisch ist das zwar machbar. Die Kompensation kostet aber langfristig 4,5 Milliarden. Der Ständerat hat gezeigt, dass es viel günstiger geht. Es ist nicht zuletzt eine Frage des Preis-Leistungsverhältnisses. Die beiden Konzepte liegen nun auf dem Tisch und müssen noch ganz genau angeschaut werden.
Der Ständerat hat gezeigt, dass es viel günstiger geht. Es ist nicht zuletzt eine Frage des Preis-Leistungsverhältnisses.
Sie haben als Bundesrat ein ganz ähnliches Modell vorgeschlagen – mit einer Kompensation innerhalb der zweiten Säule über mehr Einzahlungen?
Das stimmt, wenn man dieses Element isoliert betrachtet. Aber das Projekt des Bundesrates war viel günstiger nur schon bei der Kompensation. Es waren 1,5 Prozentpunkte Mehrwertsteuer vorgesehen und nicht nur 0,6. Dazu kam die besondere Unterstützung von tiefen Einkommen und all jenen, die sehr früh zu arbeiten begonnen haben. Das muss man alles im Gesamtpaket betrachten.
Das Gegenkonzept des Ständerats erhöht die AHV um 70 Franken, um die Einbussen bei der zweiten Säule zu kompensieren. Hat dieser Vorschlag noch eine Chance.
Es sind unterschiedliche Konzepte: Das Konzept des Bundesrats hat bis jetzt niemand wirklich unterstützt ausser der Bundesrat selber. Ich musste das feststellen und habe darauf verzichtet, es weiter zu verteidigen. Es lohnt sich nicht, ganz allein in der Wüste zu rufen. Es gibt jetzt zwei Konzepte mit unterschiedlichen Kosten, die kompensiert sind. Das ist gut so, aber beide müssen überarbeitet werden. Auch die Diskussion über das Preis-Leistungsverhältnis dürfte noch kommen.
Wenn via AHV mit 70 Franken kompensiert wird, wird zwischen hohen und tiefen Einkommen ziemlich viel umverteilt. Das kommt bei den Bürgerlichen nicht gut an?
Dieses Umverteilungsproblem haben wir sowieso. Bei der Kompensation des Nationalrats gibt es eine unglaubliche Umverteilung zwischen der jungen und der älteren Generation.
Beschlossen wurde auch ein Mechanismus, der bis zum Rentenalter 67 führen kann. Wird diese Idee das Seilziehen im Parlament bis zu einer Volksabstimmung überleben?
Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Es ist allen klar, dass dieser Vorschlag ziemlich realitätsfremd ist und vor dem Volk keine Chance haben kann. Die ehrenvolle Beerdigung dieses Mechanismus‘ hat bereits begonnen. Da ist keine grosse Diskussion mehr zu erwarten.
Das Interview führte Dominik Meier.