«Tages-Anzeiger»
«Mit ihrem Rückzug erweist Eveline Widmer-Schlumpf dem Land aus staatspolitischer Sicht einen Dienst. Nun ist der Weg frei für eine der Wählerstärke angemessene SVP-Vertretung im Bundesrat.
So schwierig diese Vorstellung angesichts des unübersichtlichen bis chaotischen SVP-Kandidatenfelds derzeit ist, so richtig ist es, der grössten Partei des Landes nun einen zweiten Sitz in der Regierung zuzugestehen. Wer nahezu 30 Prozent der Wählerstimmen erreicht, soll Verantwortung übernehmen und gleichzeitig den oppositionellen Gestus ablegen, der einen grossen Teil des bisherigen Erfolgs erst ermöglicht hat.»
«Neue Zürcher Zeitung»
«Spät, aber nicht zu spät hat die Finanzministerin erkannt, dass sie mit ihrer Demission der Schweiz eine Zerreissprobe erspart. Wäre sie am 9. Dezember nochmals angetreten, hätte es vor allem Verlierer gegeben. (...) Nach dem Vernunftentscheid von Eveline Widmer-Schlumpf ist jetzt die SVP gefordert, vernünftig zu agieren.
Wenn man die Aussagen von Parteiexponenten zum Nennwert nimmt, stehen rund zehn Kandidaten bereit. Diese sollten nicht länger den Kopf einziehen, sondern ihre Karten auf den Tisch legen. Gesucht sind Bewerber, die verantwortungsbewusst mitregieren wollen. Unerwünscht sind Parteisoldaten, die sich als Horchposten ihrer Partei im Bundesrat verstehen.»
«Der Bund»
«Eveline Widmer-Schlumpf geht nicht freiwillig. Die erfahrene Machtpolitikerin kapituliert vor dem Risiko einer Abwahl am 9. Dezember. Ein schmerzvoller Abgang für eine Bundesrätin, die viel geleistet und vieles gut gemacht hat, also nichts dafür kann, dass sie gehen muss. (...) Mitte-rechts hat die Wahlen gewonnen. Also sollen SVP und FDP jetzt die Verantwortung übernehmen und mit je zwei Sitzen die Regierungsmehrheit stellen.
Gemessen am Wähleranteil sind sie so leicht übervertreten – doch eine bessere Variante gibt es nicht, die glaubwürdig die Stimmung in der Bevölkerung aufnimmt. Die Zauberformel war immer schon ein politischer Akt.»
«Basler Zeitung»
«Dass Eveline Widmer-Schlumpf sich nun zurückzieht und nach zehn Tagen das tat, was in einer Demokratie üblich ist, indem man nämlich das Resultat von Wahlen ernst nimmt, ist eine gute Nachricht. Es entlastet unser Land.
Denn wo immer wir politisch stehen: Acht Jahre lang waren wir gezwungen, uns mit der Frage zu beschäftigen: Geht Widmer-Schlumpf – oder bleibt sie? Eine Personalie spaltete das Land.
Das ist kein trivialer Fortschritt. Im Gegenteil. Inzwischen ist Europa aus den Fugen geraten. Es ist gut und es ist dringend nötig, dass die Schweiz wieder eine Regierung bekommt, wo alle massgebenden Kräfte dieses Landes vertreten sind.»
«St. Galler Tagblatt»
«Nicht mangelnde Amtsführung ist Grund für ihren Rücktritt, es sind die politischen Realitäten. Das Schweizervolk hat bei den Wahlen für neue politische Kräfteverhältnisse gesorgt, die es im Bundesrat abzubilden gilt.
Mit ihrem Rücktritt ist die Bündner Bundesrätin einer möglichen Abwahl zuvorgekommen, sie hat aber auch – wohl contre cœur – den Weg für eine sachliche und würdige Evaluation eines zweiten SVP-Bundesrats freigemacht.
Die wählerstärkste Partei des Landes hat es nun in der Hand, idealerweise mit einem valablen Zweierticket zu belegen, dass sie sich konstruktiv für die Schweiz engagieren will.»
«Blick»
«Sie [Eveline Widmer-Schlumpf] ist eine klug kalkulierende, aber einsame Arbeiterin. Mit einer Sachkompetenz, die so viel besser zu einer Chefbeamtin passt als zu einer Politikerin. Dafür loben sie selbst die Gegner aus der SVP. Sie hat nun auch ihren Abgang kühl berechnet. Sie sah ihren Rückhalt nach den Wahlen schwinden und kam jetzt einer möglichen Abwahl zuvor.
Sie tritt zu einem Zeitpunkt ab, der der SVP alle Möglichkeiten offenlässt, ihr Zweierticket zu planen. Dieses Geschenk hätte die SVP nach der gemeinsamen Leidenszeit eigentlich gar nicht verdient. Widmer-Schlumpf gewichtet ihr Ego nicht höher als das Wohl der Schweiz.»
Westschweizer Presse
Während die Deutschschweizer Kommentatoren vor allem Appelle an die SVP richten, treten ihre Westschweizer Kollegen fordernder und skeptischer auf: «Ein Remake der Ära Blocher im Bundesrat muss der Schweiz erspart bleiben», schreibt «24 Heures» und verweist darauf, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler nicht SVP gewählt habe.
Die SVP habe jedoch keinen Grund, von ihrer erfolgreichen Strategie der gleichzeitigen Oppositions- und Regierungspartei abzurücken, schreibt «La Liberté». «Wie kann man glauben, dass der Wolf sich nun in ein Lamm verwandelt?»
Die Westschweizer Presse geht auch mit der CVP – im Gegensatz zur Deutschschweiz – hart ins Gericht: CVP-Präsident Christoph Darbellay habe Widmer-Schlumpf mit seinen Aussagen zur Legitimität eines zweiten SVP-Sitzes den Gnadenstoss versetzt, schreibt «Tribune de Genève». Die CVP wolle es sich offenbar nicht mit der neuen rechten Mehrheit verscherzen, heisst es bei «L'Express» und «L'Impartial».