Vergleicht man die bisherigen Neubestellungen der kantonalen Parlamente im Wahljahr 2015, so fällt nicht nur der wiedererlangte Erfolg der FDP ins Gewicht - frappant ist auch der dreimalige Sitzverlust der Grünen.
Dabei fällt zudem auf, dass die SP in keiner der drei Fälle von den verlorenen Stimmen der Grünen profitieren konnte. Bei den Zürcher Wahlen gewann die SP einen Sitz, in Baselland und Luzern stagnierte sie sogar.
Sind die Wähler der Grünen folglich an die Mitteparteien verloren gegangen? Nein, sagt Politologe Thomas Milic. Ein Wähler der Grünen Partei wechsle nicht über Nacht ins Lager der Bürgerlichen. Hinter dem Wählerschwund der Grünen sieht er hauptsächlich die folgenden drei Gründe:
1. Energiewende nicht mehr prioritär
Weniger der Fukushima-Effekt aber die Energiewende habe als Thema an Bedeutung verloren. Traditionell wichtige Themen der Grünen würden somit weniger ins Gewicht fallen. Nach dem Entscheid der Nationalbank, die Euroanbindung des Schweizerfrankens aufzugeben, seien aus Wählersicht wirtschaftliche Themen vordringlicher geworden.
Wirtschaftliche unsicherere Zeiten würden erfahrungsgemäss die bürgerlichen Parteien stärken. Mit ihrer Priorität und Kompetenz für Wirtschaftsfragen habe die FDP bereits in der Vergangenheit in ökonomisch turbulenten Zeiten punkten können. Im Vergleich zu den Grünen falle es der FDP somit leichter, neue Wähler dazuzugewinnen.
2. Abwanderung zu linken Oppositionsparteien
Im Falle von Zürich sei zudem davon auszugehen, dass die Regierungsverantwortung der Partei geschadet hat. Martin Graf sei als grüner Justizdirektor kein Zugpferd für die Partei gewesen. An der Regierung beteiligte Parteien könnten linke Wähler generell enttäuschen. Deren Unzufriedenheit könne rasch wachsen, wenn die Regierungstätigkeit Kompromisse abverlange. Dies sei sowohl bei der Stagnation der SP als auch den Verlusten der Grünen zu berücksichtigen.
In Zürich erkläre die Enttäuschung linker Wähler unter anderem den beträchtlichen Sitzgewinn der Alternativen Liste (AL). Es sei gut möglich, dass einige potentielle grüne «Protestwähler» ihre Stimme der oppositionelleren AL gegeben haben.
3. Tiefe Wahlbeteiligung
Tiefe Wahlbeteiligungen würden erfahrungsgemäss zugunsten von Parteien mit einer stabilen Stammwählerschaft ausfallen. Die Wahlbeteiligung sei in allen drei Kantonen im Vergleich zu 2011 gesunken. Dies komme traditionsreichen Parteien wie der FDP oder CVP entgegen. Die Grünen seien im Vergleich eher auf eine jüngere Wählerschaft angewiesen. Diese sei weniger parteigebunden.
Einschätzungen von Nationalrat Ueli Leuenberger
Der grüne Nationalrat und ehemalige Parteipräsident Ueli Leuenberger ist mit den drei Hauptgründen von Milic weitgehend einverstanden. Die Energiewende sei in der breiten Öffentlichkeit als Thema zurzeit weniger präsent. Dies, obschon grüne Anliegen wie die Energiefrage oder der Klimawandel weiterhin ganz oben auf der Agenda stehen sollten. Wie die Stimmen verloren gingen, müsse genau analysiert werden. Zur Rolle des abgewählten grünen Regierungsrats Martin Graf relativiert Leuenberger, dass dieser als Überzähliger ausscheide und das absolute Mehr erreicht habe. Es müsse für die Grünen möglich sein, zugleich in Regierungen Kompromissfähigkeit an den Tag zu legen und in den Parlamenten teils auch gegen den Regierungskurs zu politisieren. Dass sich die Grünen schwer tun, Stammwähler bei der Stange zu halten, sei seit längerem bekannt. Er habe dieses Problem ansprechen wollen, als er nach den letzten Parlamentswahlen auf nationaler Ebene sagte, die Grünen seien an der Basis zu träge. Wählerpotential sei vorhanden. Die Partei sei aber auf eine kontinuierliche Mobilisierung angewiesen: Die Parteimitglieder müssen aktive Überzeugungsarbeit leisten: Sei es auf der Strasse, über die Familien, in Dorfclubs oder Quartiervereinen. |