Brüssel erlebte im Februar eine ungewöhnliche Demonstration: Gewerkschaften, Stahlarbeiter und die Chefs der grossen Stahlunternehmen in Europa gingen gemeinsam auf die Strasse.
«Wenn China nicht aufhört, seinen Stahl zu Dumpingpreisen nach Europa zu verkaufen, können wir hier dichtmachen», sagt der Chef einer holländischen Giesserei. Allein in den letzten sechs Monaten seien deswegen in der europäischen Giessereibranche 7000 Arbeitsplätze verloren gegangen.
Peking stützt die Überproduktion
Dass China seinen überschüssigen Stahl losschlagen will, hat einen sozialpolitischen Grund: «China hat riesige Überkapazitäten aufgebaut», sagt Axel Eggert, Geschäftsführer von Eurofer, dem europäischen Verband der Stahlindustrie. Peking könne diese Kapazitäten nicht einfach rasch wieder herunterfahren, weil sonst Hunderttausende chinesische Stahlarbeiter auf der Strasse landen würden. Dies wäre schlecht für den Machterhalt der kommunistischen Partei, sagt Eggert.
Chinas Stahlwerke, die praktisch alle in Staatsbesitz sind, erhalten den Strom zu massiv verbilligten Preisen. Chinesische Händler müssen den Schrott, das Ausgangsmaterial für die Stahlherstellung, den heimischen Stahlwerken zu fixen Preisen verkaufen.
Ausserdem müssen die grossen Banken Chinas, alle ebenfalls in staatlichem Besitz, die maroden chinesischen Stahlwerke mit billigen Krediten stützen. Das sei mit ein Grund, weshalb der chinesische Bankensektor in Schieflage geraten sei, schreibt die europäische Handelskammer in Peking in einer Analyse.
Trotz des weiten Transportweges von China nach Europa, und obwohl viele chinesische Werke veraltet und ineffizient sind, schaffen es die chinesischen Hersteller dank der staatlichen Stützungsmassnahmen ihre europäischen Konkurrenten mit 20 bis 40 Prozent tieferen Preisen auszustechen.
EU geht viel zu zögerlich vor
Die EU hat zwar gegen diesen verbilligten Stahl Strafzölle erlassen. Doch die reichten nirgends hin, sagt Eggert von Eurofer. Die Strafzölle seien mit 13 Prozent viel zu tief. «Damit halten Sie chinesische Stahlunternehmen mittelfristig nicht auf.»
Die USA beispielsweise belegen den chinesischen Dumping-Stahl mit Strafzöllen von über 250 Prozent. Die Botschaft ist klar: Chinesischer Dumping-Stahl wird nicht in die USA gelassen. Die EU fährt hier einen viel zahmeren Kurs – weil sie es sich mit Peking nicht verderben will.
Doch der europäischen Stahlindustrie geht nun langsam die Puste aus. Seit bald zwei Jahren leidet sie unter den Billigimporten aus China. Wenn die Firmen aber von der Bildfläche verschwinden, entsteht ein neues Problem. «Die Stahlindustrie ist das erste Glied der wichtigsten Industrien wie Auto- oder Maschinenindustrie», gibt Eggert zu bedenken. Fehlt die Stahlbranche, geht viel Knowhow in Europa verloren, das ganze Branchen brauchen, um sich weiterentwickeln zu können.
WTO-Vollmitgliedschaft verhindern
Die Stahlindustrie, aber auch die EU und die USA, kämpfen deshalb dagegen, dass China im Dezember im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO als Marktwirtschaft anerkannt wird. Denn: Jetzt darf man noch Schätzungen darüber anstellen, wie stark die staatlichen Unterstützungen Chinas ausfallen und die Strafzölle entsprechend hoch ansetzen.
Hat China von der WTO aber den Status einer Marktwirtschaft erhalten, geht man automatisch davon aus, dass das Riesenland seine Industrien nicht mehr stützt. Das Verhängen von Strafzöllen wird dann viel schwieriger, egal, ob Peking dennoch weiter Milliarden in seine Stahlindustrie pumpt, um diese vor dem Kollaps zu bewahren.