In Afghanistan hat er als Kinderarzt gearbeitet, in der Schweiz schlug er sich zwei Jahre lang als Küchenhilfe durch: Samiullah Shaiban, 43 Jahre alt, verheiratet, Vater von drei Kindern. Weil er wiederholt mit dem Tod bedroht wurde, musste er zusammen mit seiner Familie seine Heimat verlassen. Das neue Daheim ist Chur. Seit April arbeitet Samiullah Shaiban im Spital Schiers als Unterassistent: «Wir finden es interessant, jemandem aus so einem Land eine Starthilfe zu geben und so zu versuchen, ihn in der Schweiz zu integrieren», sagt Lesek Purek, einer der leitenden Ärzte des Spitals. Ziel von Samiullah Shaiban ist es, das Schweizer Staatsexamen als Arzt abzulegen.
Er ist einer von 18 Flüchtlingen aus Ostschweizer Kantonen, welche die Stiftung Arbeitsgestaltung dabei unterstützt, im Schweizer Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Die gleiche Aufgabe nimmt in Zürich die Asylorganisation AOZ wahr, in der Westschweiz das Heks. Zusammen setzen die drei Organisationen das 2012 gestartete Bundesprojekt «Potentiale nutzen – Nachholbildung» um. Dieses rief der Bund als Reaktion auf Kritik der OECD ins Leben: Die OECD hatte bemängelt, dass die Integrationspolitik der Schweiz für Flüchtlinge bescheiden sei im Vergleich zu anderen OECD-Ländern. Am Projekt nehmen insgesamt rund 50 Flüchtlinge und Vorläufig Aufgenommene teil, die einen Hochschul- oder einen Lehrabschluss haben oder über Berufserfahrung verfügen.
Anerkennungsverfahren funktionieren nur für wenige
Fabienne Zannol ist zuständig für das Pilotprojekt in der Ostschweiz. Nach zwei Jahren ist ihre Bilanz ernüchternd über die Berufs-Anerkennung von Flüchtlingen: «Die Anerkennungsverfahren funktionieren für sehr wenige Leute – aus ganz verschiedenen Gründen: Sei es, dass Dokumente fehlen oder einfach die Anerkennung an sich nicht möglich ist». Denn oft seien Ausbildungen im Ausland viel kürzer oder anders aufgebaut als in der Schweiz. Wünschenswert wäre, findet Fabienne Zannol, wenn flexiblere Wege offen stünden: Wenn etwa Dokumente fehlten, könnte man stattdessen eine praktische Prüfung machen, um herauszufinden, was eine Person kann und was nicht.
Deutschlands Recherche-Abteilung
Diese Möglichkeit gibt es – anders als in der Schweiz – in Deutschland: Dort überprüft die IHK-FOSA (Foreign Skills Approval) in Nürnberg ausländische Berufsabschlüsse im nicht-reglementierten Bereich: Industrie, Handel, Gastronomie und Dienstleistungen. Wenn ein ausländischer Bildungsabschluss einem deutschen entspricht, wird eine sogenannte Gleichwertigkeit festgestellt. Können Gesuchsteller keine Dokumente vorlegen, etwa weil diese auf der Flucht verloren gingen, stellt das mehrsprachige Team von wissenschaftlichen Mitarbeitern eigene Recherchen an. Geschäftsführerin Heike Klembt-Kriegel: «Mit einem geeigneten Verfahren – das kann eine Arbeitsprobe sein oder auch ein Fachgespräch – kann man nachweisen, dass man über die erforderlichen beruflichen Fertigkeiten verfügt.»
Das Schweizer Pilotprojekt «Potentiale nutzen – Nachholbildung» zeigt, dass es aufwändig ist, Flüchtlinge in der Arbeitswelt zu integrieren. Nur schon bis sie sprachlich auf einem akzeptablen Level sind, dauert es lange. Doch die Mühe lohnt sich für den Staat auch finanziell (siehe Box). Illusionen, dass Flüchtlinge den Fachkräftemangel in der Schweiz lindern helfen, sollte man sich indes nicht machen. Laut Fabienne Zannol ist der Anteil gut Ausgebildeter klein: «Wir arbeiten mit einer Minderheit. Aber ich denke nichtsdestotrotz, dass der Aufwand notwendig ist und die Schweiz und der Arbeitsmarkt schlussendlich profitieren werden».