Obwohl die Schweiz ein reiches Land ist, leben auch hier Menschen in Armut. Betroffen sind gemäss dem Bundesamt für Statistik rund 735'000 Personen. Darüber zu sprechen fällt vielen Betroffenen schwer, weil Armut noch immer ein Stigma ist. Zwei armutsbetroffene Frauen erzählen, wie sie mit ihrer Armut umgehen.
Für Gesundes reicht das Geld nicht immer
Natalie* und Katja* sind beide aufgrund einer chronischen Krankheit arbeitsunfähig. Natalie ist verheiratet und bezieht eine IV-Rente. Ihr Mann verlor seine Stelle durch Corona und arbeitet zurzeit in einer Tieflohnbranche. Katja hat zwei Kinder und ist alleinerziehend. Sie lebt von der Sozialhilfe.
Ich denke, dass ich es eigentlich schaffen müsste, auf eigenen Beinen zu stehen und es ist mir peinlich, dass ich Hilfe brauche.
Im Alltag spüren beide Frauen die Armut beispielsweise in der Ernährung. Fleisch steht bei beiden selten auf dem Speiseplan – es ist zu teuer. Oft gebe es Reis oder Nudeln in unterschiedlichen Variationen, erzählen sie. «Zu Beginn des Monats kaufe ich auch Gemüse und Früchte, damit es auch mal etwas Gesundes gibt, ab Mitte Monat fehlt mir dann das Geld dazu», sagt Katja. Und Natalie ergänzt: «Es kam auch schon vor, dass wir gar keine Lebensmittel mehr übrig hatten Ende Monat und da essen mein Mann oder ich auch schon mal gar nichts.»
Geschenke seien ein anderes Thema, das einem die eigene Armut immer wieder bewusst mache, erzählt Katja. Nur selten könne sie ihren Kindern etwas zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken, dazu reiche einfach das Geld nicht. Das tue ihr sehr weh, denn sie würde ihren Kindern gerne viel häufiger eine Freude machen. Dieses Jahr habe sie aber Glück gehabt und habe Weihnachtsgeld von der Kirche erhalten. Sie freut sich riesig: «Endlich kann ich meine Kinder mal überraschen!»
Wenn die Kinder ausgegrenzt werden
Armut hat viele Facetten. Sie kann auch zu sozialer Ausgrenzung führen. Katja erzählt, ihre Kinder würden dies besonders deutlich spüren: «Sie wurden in der Schule gehänselt und ausgegrenzt, wenn sie nicht die neuesten Sachen anhatten und sich nichts leisten konnten.» Heute seien ihre Kinder Einzelgänger, das mache sie traurig. «Und das nur, weil wir kein Geld haben.» Unterstützung erhalte sie zum Glück von der Kirchengemeinde und von einer Facebookgruppe, in der sich Familien am Existenzminimum untereinander vernetzen und gegenseitig unterstützen.
Meine Kinder wurden in der Schule gehänselt und ausgegrenzt, wenn sie nicht die neuesten Sachen anhatten und sich nichts leisten konnten.
Obwohl Natalie von ihrem Umfeld sehr unterstützt wird, erlebt auch sie soziale Auswirkungen der Armut. Dieses Jahr habe sie auf ein Weihnachtsessen mit ihrem Bruder und dessen Familie verzichten müssen, weil sie sich das Zugbillet dahin nicht leisten konnte. «Meine Nichte und mein Neffe haben mich sehr vermisst und ich sie auch». Solche Momente zu verpassen, treffe sie besonders, weil man sie später nicht mehr nachholen könne.
Die Schwierigkeit, Hilfe anzunehmen
Beide Frauen erzählen, dass es ihnen oft schwerfällt, die Hilfe anderer anzunehmen. Natalie sagt, sie habe manchmal sogar ein schlechtes Gewissen, wenn ihr jemand helfe: «Ich denke dann, dass ich es eigentlich schaffen müsste auf eigenen Beinen zu stehen und es ist mir peinlich, dass ich Hilfe brauche.»
Katja ergänzt, dass es sie immer noch Überwindung koste, um Hilfe zu fragen, weil sie sich schämt für ihre Armut. Schwierig sei es für sie auch, dass sie finanziell nicht in der Lage sei, den Leuten für ihre Hilfe etwas zurückzugeben. Manchmal klappt es dafür auf eine andere Weise. Dieses Jahr konnte sie der Haushaltshilfe der Spitex zum Beispiel eine Tüte mit selbstgebackenen Weihnachtsguetzli mitgeben. «Es war schön zu sehen, wie sie sich gefreut hat», erzählt Katja und lächelt.
*Namen geändert