Seit die Europäer Amerika entdeckt haben, lockt der Kontinent auch Schweizer Auswanderinnen und Auswanderer an. Gemäss Schätzungen haben seit dem 16. Jahrhundert rund 460'000 Schweizerinnen und Schweizer den Weg über den Atlantik auf sich genommen. Einige von ihnen prägen die Vereinigten Staaten von Amerika nachhaltig.
Der vermutlich erste Schweizer, der auf heutigem US-Boden gelandet ist, war der Berner Diebold von Erlach. 1564 ist er auf dem Gebiet, das heute zum Bundesstaat Florida gehört, an Land gegangen.
Zudem ist heute bekannt, dass Schweizer Handwerker 1608 am Bau von Jamestown beteiligt waren. Dieser Ort in Virginia war die erste dauerhafte Siedlung der Engländer in Nordamerika. Woher diese Schweizer genau kamen, lässt sich anhand der Quellen nicht mehr nachvollziehen, wie der Historiker David Aragai erklärt. «Aber sie waren schon zu diesem frühen Zeitpunkt vor Ort in den britischen Kolonien Nordamerikas.»
Die Auswanderung war damals aber kein Massenphänomen, betont Aragai. Es waren zum einen Einzelpersonen, typischerweise Kaufleute, die im Atlantikhandel mitmischten und damit zum Teil mit dem Sklavenhandel in Verbindung standen. Zum anderen waren es (religiöse) Gruppen, welche vom 16. bis zum 18. Jahrhundert die Schweiz Richtung Nordamerika verliessen: Täufer, Mennoniten etc.
Und hier kommt ein Schweizer ins Spiel, der in den USA sichtbare Spuren hinterlassen hat – ohne selbst je dort gewesen zu sein: Jakob Ammann.
Jakob Ammann: Gründervater der Amischen
Über das Leben von Jakob Ammann ist heute nur wenig bekannt. Er ist vermutlich 1644 im bernischen Simmental geboren worden und hat sich gut drei Jahrzehnte später der Täuferbewegung angeschlossen. Deren Anhänger wurden damals verfolgt, mit Verbannung, Gefängnis oder gar Hinrichtung bestraft.
Ammann wurde Anführer einer Täufergemeinde. Er predigte speziell strenge Glaubensregeln: «Dazu gehörte eine starke Absonderung vom Rest der Gesellschaft. Oder auch, dass die Männer Bärte und die Frauen Hauben tragen», sagt der Publizist und Historiker Helmut Stalder. Er hat sich in seinem Buch «Verkannte Visionäre. 25 Schweizer Lebensgeschichten» unter anderem mit der Figur Jakob Ammann beschäftigt.
Jakob Ammanns strenge Glaubensregeln führten in der Schweiz zu einem Konflikt mit anderen Vertretern der Täuferbewegung. 1693 kam es zum Bruch. «Die Anhängerinnen und Anhänger Ammanns wurden ab da Ammansche Leut’ oder eben Amische Leut’ genannt», erklärt Stalder. Mit ihnen baute Ammann hauptsächlich im Elsass im Nordosten Frankreichs, wo sie weniger Repressionen ausgesetzt waren, eine Täufergemeinde auf.
Wie es für Jakob Ammann weiterging, lässt sich heute nicht mehr im Detail nachvollziehen. Seine Spuren verlieren sich um 1712 im Elsass.
Ammanns Gemeinde hingegen, die Amischen, bestand weiter. Sie wanderten ab dem 18. Jahrhundert nach Nordamerika aus. Dort halten sie noch heute die religiösen Regeln Jakob Ammanns hoch und sind in einigen Regionen unübersehbar Teil des Lebens.
Als die Massenauswanderung einsetzt
Waren es lange Zeit einzelne Gruppen oder Personen, nahm die Schweizer Auswanderung in die USA Mitte des 19. Jahrhunderts dann aber stark zu. Die amerikanischen Behörden erfassten zwischen 1851 und 1880 über 75'000 Personen aus der Schweiz. Und in den folgenden rund zehn Jahren machten sich noch einmal über 80'000 Schweizer und Schweizerinnen auf den Weg in die USA.
Die Auswanderungswelle ist durch verschiedene Faktoren angestossen worden, sagt Historiker David Aragai. «Der eine Grund ist simpel: Armut in der Schweiz. Es waren zuerst vor allem arme Menschen, welche sich auf den Weg machten.» Nicht selten wurde ihnen die Ausreise aus der Schweiz nahegelegt von der Heimatgemeinde – teils wurden sie dabei sogar finanziell unterstützt.
Der andere wichtige Grund: «Die jungen Vereinigten Staaten haben ihre Grenzen damals für Siedler geöffnet. Ihr Ziel war es, die heutigen Staaten der Ostküste und des Mittleren Westens zu besiedeln», so Aragai. Nicht nur aus der Schweiz, in weit grösserer Zahl machten sich auch Auswanderinnen und Auswanderer aus anderen europäischen Ländern auf den Weg dorthin.
Allerdings liessen sich die Menschen damals nicht auf unbesiedeltem Gebiet, sondern auf indigenem Land nieder. Historiker David Aragai sagt: «Den Menschen wurde ihr Land teils durch staatliche Programme zugeteilt. Es waren ihnen teils wenig bewusst oder schlicht gleichgültig, dass es zuvor der indigenen Bevölkerung weggenommen worden war.» Diese Problematik wurde in der Schweiz in den letzten Jahren verstärkt aufgearbeitet. Ein Beispiel dafür ist der Schweizer Johann August Sutter.
In dieser Zeit bildeten sich im Mittlereren Westen und dem Westen der USA erstmals grössere Städte, bewohnt von den europäischen und Schweizer Zuwanderinnen und Zuwanderer. Die Auswanderung aus der Schweiz wurde auch immer mehr zum Selbstläufer: «Jeder kannte irgendwann eine Person, welche schon in den USA lebte», erklärt Aragai.
Einer, der ebenfalls in die USA auszog, um dort sein Glück zu finden, war Louis Chevrolet. Er fand es nur bedingt – und hinterliess trotzdem prägende Spuren.
Louis Chevrolet: Erfolgsgeschichte mit tragischem Ende
Louis Chevrolet wurde 1878 in La Chaux-de-Fonds NE geboren. Er war Sohn eines Uhrmachers und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Als Jugendlicher arbeitete er als Velomechaniker in der französischen Region Burgund, von wo er nach Paris zog. Dort lernte er Mechaniker bei verschiedenen Autoproduzenten.
Der 20-Jährige hatte aber schon da den Traum USA vor Augen – und sparte für die Überfahrt nach Amerika. Nach einer Zwischenstation in Montreal in Kanada kam Chevrolet 1901 in New York an, wo er 1902 beim Autobauer Fiat anheuerte. Der Durchbruch folgte drei Jahre später: Chevrolet stellte bei einem Testrennen im Fiat einen Weltrekord auf.
Chevrolet war damals der Star der Rennszene.
«Ab da war Chevrolet nicht nur Mechaniker, sondern auch Rennfahrer. Er hat auf allen möglichen Rennstrecken Erfolge gefeiert», erzählt Publizist Helmut Stalder. Er hat in seinem Buch über verkannte Schweizer Visionäre auch die Biografie Chevrolets aufgearbeitet und sagt: «Chevrolet war damals der Star der Rennszene.» Der US-Geschäftsmann William Durant wurde auf den Schweizer aufmerksam. Die beiden gründen 1911 die «Chevrolet Motor Car Company» in Detroit, Michigan.
Chevrolet selbst war zwar Namensgeber der Automarke, allerdings nur mit wenigen Aktien beteiligt. Dies wurde ihm zwei Jahre später zum Verhängnis: Nach einem Streit über die Ausrichtung der Firma überwarf sich Chevrolet mit Partner Durant. 1913 verliess er die Firma. Von dem vielen Geld, das die «Chevys» einfuhren, sah er fortan nichts mehr.
Chevrolet versuchte sich danach an weiteren Projekten und Firmen, allerdings wenig erfolgreich. Und so kam es, dass er in den 1930er-Jahren zurückkehrte zu Chevrolet. «Die Ironie der Geschichte ist, dass er ab da als einfacher Mechaniker bei der Firma arbeitete, die unter seinem Namen Autos produzierte», sagt Stalder. Mehrere Millionen «Chevys» waren damals schon vom Band gelaufen.
Chevrolet starb 1941 mit 62 Jahren. Millionen Autos, die seinen Namen tragen, fahren noch heute auf US-Strassen. Chevrolet ist in rund 80 Ländern präsent und gehört zu den grössten Automarken der Welt.
Weltkriege und Wirtschaftskrise
Die Schweizer Auswanderungswelle in die USA bekommt dann im 20. Jahrhundert einen markanten Knick. Hauptverantwortlich waren die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise dazwischen. Erst danach werden die Schweizerinnen und Schweizer wieder in etwas grösserer Zahl in die Vereinigten Staaten gelockt – nicht zuletzt durch den amerikanischen Traum. Seither hat sich die Zahl der Auswandernden in die USA stabil eingependelt, sagt Historiker David Aragai: «Die riesige Masse des 19. Jahrhunderts wird aber nicht mehr erreicht.»
Dennoch prägen Schweizer Auswanderer und Auswanderinnen die USA weiterhin mit – vor allem durch die mittlerweile zahlreichen Nachfahren. Eine zahlenmässige Schätzung der US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner mit Schweizer Vorfahren ist aber schwierig. Viele kennen ihre Vorfahren heute nicht mehr bis ins 18. Jahrhundert. Hinzu kommt, dass Schweizer Vorfahren und deutsche, beziehungsweise französische oder italienische Vorfahren gerade in den älteren Dokumenten nicht selten verwechselt wurden.
Die Rede ist aber von rund 1.2 Millionen US-Amerikanerinnen und US-Amerikanern mit Schweizer Wurzeln. Unter ihnen finden sich einige Berühmtheiten, sei dies in der Politik, im Showbusiness oder im Sport.
Dazu kommen auch heute noch immer neue Schweizerinnen und Schweizer, die ihr Glück in den USA suchen. Im vergangenen Jahr wohnten laut Schweizer Aussendepartement EDA fast 84'000 Menschen mit Schweizer Pass im «Land der unbegrenzten Möglichkeiten». Und wahrscheinlich wird auch der eine oder andere von ihnen dort bleibende Spuren hinterlassen.