An den Swiss Skills können Besucherinnen und Besucher dieses Jahr einen Beruf bestaunen, den es so noch gar nicht gibt: «Entwickler:in digitales Business» heisst er. Die entsprechende Berufslehre wird erst ab Sommer 2023 angeboten. Es ist eine Lehre, die direkt als Folge der Digitalisierung entstanden ist. Grosse Unternehmen wie die Post oder Swisscom suchen bereits Lernende.
Mit der Lehre sollen die Jugendlichen zu Digitalisierungsexperten werden.
«Entwicklerinnen und Entwickler digitales Business sind beispielsweise dafür verantwortlich, dass eine App für Benutzer einen Mehrwert generiert und dass die Bedienung auf den Nutzer ausgerichtet ist. Mit der Lehre sollen die Jugendlichen zu Digitalisierungsexperten werden», erläutert Steven Walsh.
Er ist Präsident der zuständigen Berufsentwicklungskommission beim Verband ICT Berufsbildung. Damit ist er federführend bei der Entwicklung des neuen Berufs. Dieser beinhaltet etwa auch Fragen, wie Daten zum Vorteil der Nutzerinnen verwendet werden.
Die erste Idee zur Lehre ist vor knapp zwei Jahren entstanden, erinnert sich Walsh. Anlass ist aber nicht die Corona-Pandemie mit der beschleunigten Digitalisierung gewesen. Vielmehr haben Gespräche mit Firmenvertreterinnen gezeigt, dass die Unternehmen schon heute Personen in diesen Jobs beschäftigen.
Das waren allerdings Mitarbeitende, die eigens umgeschult wurden. Mit der neuen Berufslehre erhoffen sich die Unternehmen mehr Nachwuchs im wachsenden Digitalisierungsfeld – gerade auch Berufseinsteiger.
Komplett neues Berufsbild: Eine Seltenheit
Die neue Berufslehre stellt aus zwei Gründen eine Seltenheit in der Schweizer Berufsbildungslandschaft dar: Einerseits dauert die Entwicklung einer neuen Lehre oft länger.
Andererseits ist es an sich ein Ausnahmefall, dass ein komplett neues Berufsbild entsteht. «Viel häufiger werden bestehende Lehren angepasst oder erweitert», erklärt Rolf Felser. Er ist Bereichsleiter am Zentrum für Berufsentwicklung an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB).
In den letzten Jahren haben laut Felser vor allem Digitalisierung und Energiewende den Wandel vorangetrieben. Durch sie wurden die Inhalte vieler Berufslehren angepasst. Ein Beispiel: Neue Technologien wie Wärmepumpen haben die Arbeit von Heizungsinstallateuren stark verändert. Hier wurde die Ausbildung erweitert. So sehr, dass die Berufslehre nun vier statt drei Jahre dauert.
Intensive Vorabklärungen
In den einzelnen Branchen gibt es auch viele Ideen für komplett neue Berufe, weiss Rolf Felser. Die wenigsten Ideen enden jedoch in der konkreten Ausgestaltung einer Berufslehre. Denn auf diesem Weg gibt es hohe Hürden und viele beteiligte Stellen.
Wir wollen keine Arbeitslosen produzieren.
So braucht es schon diverse Vorarbeiten, damit die Idee für eine Berufslehre offiziell weiterverfolgt wird. Das beginnt manchmal schon bei der Gründung eines Berufsverbands.
Und geht weiter zu intensiver Abklärungsarbeit: «Es muss belegt sein, dass landesweit genug Firmen das Bedürfnis nach diesen Lernenden haben. Und es braucht langfristig einen Arbeitsmarkt, auf dem die Berufsleute dann auch eine Stelle finden. Schliesslich wollen wir keine Arbeitslosen produzieren», sagt Felser.
Hinzu kommt, dass Weiterbildungsmöglichkeiten für die Lernenden bestehen müssen. «Kein Abschluss ohne Anschluss» ist das Prinzip.
Nicht zuletzt wird dann eben geprüft, ob die gewünschten Fähigkeiten nicht in einem bereits bestehenden Beruf untergebracht werden können. Wenn all diese Abklärungen den Bedarf für eine neue Lehre aufzeigen, gibt der Bund grünes Licht – konkret das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Dann jedoch beginnt erst die Ausgestaltung der neuen Berufslehre.
Eine Dreiecksbeziehung
An diesem Punkt gibt es eine enge Zusammenarbeit von Bund, Kantonen und Berufsverbänden, sagt Experte Rolf Felser. «Grob gesagt, sind die Verbände für die Berufsinhalte zuständig. Der Bund schaut, dass der Beruf in die Bildungslandschaft passt, und dass die rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden. Die Kantone prüfen, ob und wie die Pläne umsetzbar sind.»
Dieser Verbund muss nun unzählige Fragen klären: Welche Fähigkeiten müssen die Lernenden erlernen? Was gehört in die Ausbildungsziele von Schulen und Betrieben? Welche Schulstandorte kommen infrage? Wie heisst die neue Berufslehre?
«Das ist insgesamt ein grosser Aufwand. Alles mit dem Ziel, dass die heutige Qualität in der Bildung aufrechterhalten bleibt», so Felser. Sind sich alle Beteiligten einig, erfolgt der letzte behördliche Akt: Das SBFI unterzeichnet die entsprechende Bildungsverordnung.
Die Ausgebildeten haben mit sehr hoher Sicherheit einen Platz auf dem Arbeitsmarkt.
Der grosse Aufwand erklärt, warum Neuerungen im Bereich der Berufslehre oft länger auf sich warten lassen. Länger als etwa an den Universitäten, welche teils in Eigenregie neue Studiengänge anbieten können. Experte Rolf Felser meint: «In weniger als einem Jahr ist die Entwicklung einer Lehre garantiert nicht möglich.» Gemäss seiner Erfahrung geht es von der ersten Idee bis zu den ersten Bildungsplänen etwa drei Jahre.
Dennoch ist Felser überzeugt vom Verfahren: «In der Berufsbildung wird nur dann eine neue Ausbildung auf den Markt gebracht, wenn sie auch gefragt ist. Das ist der langsamere Weg. Dafür gibt es eine sehr hohe Sicherheit, dass die Ausgebildeten auf dem Arbeitsmarkt einen Platz haben.»
Knackpunkt Titelwahl
Diese Aussicht erhoffen sich auch die Treiber hinter der neuen Berufslehre «Entwickler:in digitales Business». Die Berufslehre hat fast alle Hürden genommen. Noch fehlt die vom Bund unterzeichnete Bildungsverordnung. Doch gemäss Steven Walsh, dem Präsidenten der zuständigen Kommission, wird die Bildungsverordnung diesen Herbst unterzeichnet, als Formalität.
Es ist alles andere als einfach, eine neue Lehre auf die Beine zu stellen.
Steven Walsh sagt rückblickend: «Es ist alles andere als einfach, eine neue Lehre auf die Beine zu stellen. Es gilt, eine grosse Population von Beteiligten ins Boot zu holen, von den Kantonen bis zur Wirtschaft.» Die vielen Beteiligten müssen sich aber nicht nur über Lerninhalte oder Inkraftsetzung einig sein, sondern auch über viele weitere Einzelheiten.
Walsh erwähnt hier als Knackpunkt die Titelwahl der neuen Berufslehre. «Der Titel wurde nicht einfach bei einem Kaffee am Morgen festgelegt. Das hat viele, viele Stunden gedauert.» Immerhin macht die Berufsbezeichnung einen Teil des Berufsimages aus. In der entsprechenden Arbeitsgruppe waren Schulen, Kantone und Firmen vertreten. Wie in einem Parlament sind dort etwa 20 mögliche Berufstitel diskutiert worden, erinnert sich Walsh.
Zusätzlich wurde eine Schulklasse befragt. Und natürlich hat auch der Bund formale Vorgaben zum Berufstitel eingebracht. So kommt es, dass Jugendliche in den kommenden Tagen an den Swiss Skills den Beruf «Entwickler:in digitales Business» kennenlernen können. Einen Beruf, den es noch gar nicht offiziell gibt in der Schweiz.