Zum Inhalt springen
Audio
Morgengast: Natalie Hamela, Fachberaterin Demenz, Alzheimer Bern
Aus Morgengast vom 30.10.2024. Bild: zVg / Natalie Hamela
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 12 Sekunden.

Betreuende Angehörige Demenzberaterin: «Pflegende Angehörige brauchen Unterstützung»

Über eine halbe Million Menschen in der Schweiz betreuen kranke Angehörige. Eine Herkulesaufgabe, die viele an den Anschlag bringt. Sie alle haben am Tag der pflegenden Angehörigen ein Dankeschön verdient, aber es braucht mehr.

Pflegende Angehörige sind gefordert. Insbesondere jene, die ein Familienmitglied mit Demenz betreuen. Der Alltag geht über Jahre weiter, obschon von Alltag keine Rede mehr sein kann.

Tag der betreuenden Angehörigen

Box aufklappen Box zuklappen

Rund 600'000 Frauen und Männer stehen in der Schweiz rund um die Uhr und teilweise über Jahre im Dauereinsatz. Sie betreuen die kranke Mutter, das behinderte Kind oder den dementen Ehemann.

Der 30. Oktober ist der Tag der betreuenden Angehörigen, ein Tag, um Danke zu sagen.

Zehn Kantone haben viele Veranstaltungen geplant, die Freude bringen sollen. Gleichzeitig wollen sie auf Entlastungsangebote aufmerksam machen.

Hier finden Sie Vorschläge, wie Sie betreuende Angehörige entlasten können.

In der Schweiz leben 156'000 Personen mit einer Demenz. Natalie Hamela, Fachberaterin Demenz bei Alzheimer Bern, berät unter anderem Angehörige, die an den Anschlag kommen.

Natalie Hamela

Fachberaterin Demenz

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Drei Länder, zwei Studien, viele Weiterbildungen und ganz unterschiedliche Berufe zieren ihren Werdegang, der 1970 begann. Als Deutsch-Französin lebt Natalie Hamela seit über 15 Jahre in der Schweiz. Nach einem Master in Kunstgeschichte waren ihre beruflichen Stationen TV-Redaktionen und Film-Produktionen, Übersetzungen, Erwachsenenbildung, Marketing, Unternehmens-Kommunikation, Massagetherapie, Demenzpflege, Wissenschaftliche Mitarbeit, Psychosoziale Beratung sowie Vorträge, Lehraufträge und Schulungen rund um Themen der Gehirngesundheit und das Leben mit einer Demenz. Sie ist Fachberaterin bei Alzheimer Bern.

SRF: Danke sagen, ist schön den pflegenden Angehörigen hilft das jedoch nicht wirklich. Was bringt der heutige Tag?

Natalie Hamela: Es ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber es ist dennoch ganz wichtig, dass es diesen Tag gibt, um die Situation ins Bewusstsein der Menschen zu rufen.

Was macht den Alltag von betreuenden Angehörigen so schwer? Womit ist man zum Beispiel am Morgen konfrontiert?

Es kann sein, dass man um 8:30 Uhr einen Termin beim Arzt hat und die Zeit bis dahin vorne und hinten nicht reicht, weil die demente Person viel langsamer ist. Sie wird sich vielleicht auch weigern, aufzustehen. Die Anweisungen des Partners werden möglicherweise als Befehl verstanden, sie wird vielleicht eine Handlung verweigern und das verzögert alles. Oder der betroffene Mensch kann die Kaffeemaschine nicht mehr bedienen und schimpft, weil sie kaputt ist. Die Person ist frustriert über den Misserfolg und der pflegende Angehörige muss das auffangen. Das bedeutet Stress.

Die Nächte sind auch nicht erholsam für die betreuende Ehefrau oder den betreuenden Ehemann. Ich gehe davon aus, wenn man rund um die Uhr da sein muss, da kommt man rasch an den Anschlag?                

Partner und Partnerinnen, die 24 Stunden, sieben Tage die Woche die Situation tragen, fangen ganz viel auf. Nicht vergessen darf man das Emotionale. Der Partner ist nicht mehr der Gleiche, er verändert sich und da kommt ein Trauerprozess in Gang. Man hat sich das gemeinsame Alter anders vorgestellt – nebenbei muss man funktionieren und für zwei denken und handeln. Alles, was ich für den Partner übernehmen möchte, wird vielleicht von ihm verweigert, weil er sich bevormundet fühlt. Das ist ein Spannungskonflikt, der auch zu Problemen führt.

Ein freier Tag ist für betreuende Angehörige ganz wichtig und wertvoll.
Autor: Natalie Hamela Fachberaterin Demenz

Es gibt Entlastungsangebote für betreuende Angehörige, zum Beispiel eine Tagesstätte für die kranke Person. Was bringt ein solches Angebot?

Es bringt Freiraum für die eigenen Bedürfnisse. Die lässt man ja völlig links liegen in der Alltagsbegleitung. Man muss immer schauen, welche Bedürfnisse der andere gerade hat, was er braucht und was ich tun kann. Sonst kann die Situation auch mal eskalieren. Ein freier Tag ist für betreuende Angehörige ganz wichtig und wertvoll.

Heute ist der Tag der betreuenden Angehörigen. Was kann man an den anderen 364 Tagen im Jahr Gutes tun? Können zum Beispiel Nachbarn oder Verwandte eine Hilfe sein?

Unbedingt. Das eigene Netzwerk, die persönlichen Beziehungen sind sehr, sehr wertvoll. An erster Stelle, bevor man zu Fachexperten geht, steht das eigene Umfeld. Das heisst Angebote machen. Wenn ich ein Freund oder eine Freundin bin oder ein Nachbar, sollte man den anderen wirklich ansprechen: «Du, ich sehe, dass es ganz viel ist, was ihr da im Alltag macht. Ich kann dir gerne etwas abnehmen.» Und man sollte konkrete Angebote machen. Wie schnell sagt es sich: «Ich bin da, ruf mich an.» Das wird nicht gemacht. Das heisst, man muss konkrete Angebote machen.

Das Gespräch führte Stefan Siegenthaler.
                

Radio SRF 1, 30.10.2024, 07:15 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel