Irritation ist Andrea Jäggis Spezialgebiet. Ihren Freunden tischt sie schon mal Quallensalat auf. Abgesehen von Insekten findet sie auch das ein interessantes Lebensmittel. Mit der Erwärmung der Weltmeere hätten Quallen weniger Fressfeinde und würden sich vermehren. In Form von grossen Blättern kommen sie dann in Asia-Märkte im Quartier, sagt die Designforscherin.
Auf der Suche nach Alternativen zu tierischem Protein, das ressourcenintensiv produziert wird, stiess Andrea Jäggi (36) zuerst auf die Insekten. Dann interessiere man sich breiter und fragt, was gibt es noch für Sachen auf der Welt und was ist sinnvoll für die Ernährung, sagt die Mutter von zwei Kindern.
Selbst orientiert sich Jäggi an Ländern, wo die Tiere sowieso auf dem Teller vorkommen. In Asien oder den Subsahara-Staaten isst man Insekten hauptsächlich mit viel Chili, Meersalz und Olivenöl. In der Pfanne knusprig gebraten, seien sie dann wie Popcorn.
Abschlussarbeit mit Substanz
Nach einer Lehre als Dekorationsgestalterin studierte Andrea Jäggi visuelle Kommunikation. Als es um die Abschlussarbeit ging, wollte sie etwas mit Substanz machen und nicht einfach ein schönes Design-Produkt.
Zeitgleich sei das WHO-Papier zur Sicherung der Welternährung herausgekommen. «Für mich war das ein mega relevantes Thema.» Zudem fand sie die Insekten auch visuell extrem spannend. Das erklärt auch die vielen Insektentattoos auf ihren Armen.
Das Motiv von Insekten sei vielfältig. Sie sind symmetrisch, hätten schöne Farben und unterschiedliche Oberflächenstrukturen. Andrea Jäggi gibt zu – in Bezug auf Essen sind Insekten vielleicht nicht so ästhetisch.
Ihre Aufgabe als Designerin sei gewesen, diese beiden Welten zusammenzubringen. So wurde aus ihrer Abschlussarbeit ein Insektenkochbuch.
Ein Leben zwischen Ekel und Ästhetik
Andrea Jäggi ging es darum, Protein selbst herzustellen. Der nächste logische Schritt war, selbst Hühner zu halten. Simon Jäggi kenne sich damit aus, hat ihr jemand gesagt. Heute ist sie mit dem Hühnerkenner und Musiker verheiratet.
Sie hat vorgemacht, dass Hühnerhaltung auch in der Stadt möglich ist. Dazu brauchte es Gespräche mit den Nachbarn. So habe auch das Schlachten der Hühner in der Waschküche und im Garten zu keinen negativen Reaktionen geführt.
Umgang mit Panikattacken
Seit ihrer Kindheit leidet Andrea Jäggi unter Panikattacken und Todesangst. Man neige dazu, Sachen, vor denen man Angst hat, nicht hervorzunehmen. Man drücke sie weg. Ich habe jetzt das Gegenteil gemacht und beschäftige mich intensiv mit dieser Todesangst, den Panikattacken und dem Thema Tod. Das hilft mir sehr. Heute habe ich das ziemlich im Griff und kann gut damit leben.
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Bild 1 von 9. Andrea Jäggi bezeichnet sich als «verhürschets» Kind. Noch heute würde sie Sachen vergessen oder Dinge verwechseln. Den Sachen in der Schule nachzukommen, fand sie anstrengend. Bildquelle: zVg / Andrea Jäggi.
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Bild 2 von 9. Andrea Jäggi begleitete ihren Vater schon als Kind oft auf Auslandsreisen. Mit neun war sie in China. Je nachdem, wo man auf der Welt ist oder lebt, sieht der Speiseplan anders aus. Das ist etwas, das sie geprägt habe und in ihre Arbeit einfliesse. Bildquelle: zVg/Andrea Jäggi.
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Bild 3 von 9. Andrea Jäggi leidet seit sie 13 Jahre alt ist an Panikattacken und Todesangst. Man neige dazu, Sachen, vor denen man Angst hat, nicht hervorzunehmen. Man drücke sie weg. «Ich habe jetzt das Gegenteil gemacht und beschäftige mich intensiv mit der Todesangst, den Panikattacken und dem Thema Tod.». Bildquelle: zVg/ Andrea Jäggi.
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Bild 4 von 9. Hühnerhalterin in der Stadt Bern. Andrea Jäggi wollte sich mit Protein selbst versorgen. Bildquelle: zVg/Andrea Jäggi.
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Bild 5 von 9. Über die Hühner hat Andrea Jäggi ihren Ehemann Simon kennengelernt. Dieser ist Hühnerkenner und Musiker bei der Band «Kummerbuebe». Bildquelle: zVg/Andrea Jäggi beim Huhn ausnehmen im Garten.
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Bild 6 von 9. Die vierjährige Tochter Luz lernt den Umgang mit den Hühnern früh kennen. Bildquelle: zVg/Andrea Jäggi.
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Bild 7 von 9. Geschlachtetes Huhn im Stadtgarten von Andrea Jäggi in Bern. Bildquelle: zVg/Andrea Jäggi.
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Bild 8 von 9. Andrea Jäggi hat viele Insekten auf den Armen tätowiert. Am rechten Bein trägt sie Frank Sinatra als Tattoo, am linken Hank Williams. Bildquelle: zVg/Merlin Photography.
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Bild 9 von 9. Andrea Jäggi hat ein Praktikum bei einem Bestatter gemacht, bevor sie angefangen hat, sich wissenschaftlich mit dem Thema Tod zu beschäftigen. Bildquelle: tzVg/Andrea Jäggi.
Mit dem Tod des Grossvaters begann ein neues Kapitel im Leben von Andrea Jäggi. Die Aufbahrung war für mich ein befremdlicher Moment, weil der Verstorbene hinter einer Glasscheibe lag. Aufgebahrt in einem Raum, wo wir nicht zu ihm hin konnten.
Sie suchte das Gespräch mit dem Bestatter, machte ein Praktikum bei ihm und fand so zu ihrem nächsten Projekt. Eines, das auch Tabu belastet ist – der Tod. In einer wissenschaftlichen Arbeit geht sie der Gestaltung von Abschiedsmomenten nach.
Wie wichtig die direkte Verabschiedung des toten Körpers für Angehörige und deren Trauerprozess ist, sei in Studien bewiesen. Dafür müsse aber auch das Setting stimmen. Diesem widmet sich Andrea Jäggi aktuell in ihrer Doktorarbeit.