Paul ist ein bekannter Bauhaus-Maler. Vor Jahrzehnten ist er aus Nazi-Deutschland nach England geflohen. Die Gestapo hatte ihn ins Visier genommen, nachdem seine Freundin Charlotte im Bauhaus Berlin bei einer Razzia verhaftet worden war. Jetzt ist die Hälfte seiner damaligen Clique tot. Walter durch einen Schlaganfall. Kaspar abgeschossen im Flugzeug über Alexandria. Und Charlotte in Buchenwald, nur wenige Kilometer von Weimar entfernt. Ausgerechnet dort, wo die Geschichte von Paul und Charlotte begonnen hat:
«Unser erstes Jahr am Bauhaus - was für ein schillerndes Jahr! Damals waren wir zu sechst: Walter und Jenö, Kaspar und Irmi, Charlotte und ich. Wir waren achtzehn, als wir mit dem Vorkurs begannen. Uns wurde alles über Farbe und Form, Stofflichkeit und Materie beigebracht. Wir lernten das gesamte Wesen eines Objektes kennen: die Papierhaftigkeit von Papier, die Holzhaftigkeit von Holz. Vor allem lernten wir aber zu fasten und wie das Fasten in unserem hungrigen Ich eine ganze Welt aus Glanz, Chaos und Genuss entstehen lassen konnte.»
Diese goldenen Zeiten! Paul denkt täglich an Charlotte. Dass nun auch Walter tot ist, lässt ihn hingegen kalt. «Von mir aus hätte Walter dreimal sterben können, wenn Charlotte dafür verschont geblieben wäre.»
Paul gibt Walter die Schuld an Charlottes Tod. Doch tief drin, jenseits von Verleugnung und Groll, weiss Paul, dass auch er mitschuldig ist. Er malt sein erstes Selbstbildnis. Es soll sein Geständnis in Farbe werden!
Daumen rauf
- Intensiv. Naomi Wood erzählt von Freundschaft, Liebe und Verrat. Von menschlichen Abgründen in tierisch schwierigen Zeiten. AUUUUU.
- Atmosphärisch. Ich tauche ein in die 1920er-Jahre in Deutschland. In die Anfänge des Bauhauses. In diese geschlossene und zugleich fortschrittliche Welt, in der ein neues Kunstverständnis heranwächst. Während draussen eine Gesellschaft im freien Fall begriffen ist und das Undenkbare passiert: Die Braunhemden gewinnen die Wahlen. Es wird im Gleichschritt marschiert und alles zertrampelt, was nicht konform ist.
- Inspirierend. «Kreativität ist in ihrem kindlichsten Ursprung assoziativ, regellos und chaotisch. Gott schütze die Bauhaus-Babys!» Mit solchen Sätzen entfacht Naomi Wood mein Bauhaus-Fieber. Ich will mehr über das Zusammengehen von Kunst und Handwerk, von Design und Architektur lernen. Und greife gleich selbst zum Pinsel.
- Goldrichtig. Naomi Wood entwickelt ihren Roman mit einer solch schöpferischen Kraft, wie wenn sie Meister Ittens Vorkurs besucht hätte. Erst der Auftakt in England, dann die Bauhaus-Story in den 1920er- und 1930er-Jahren. Dann der Bogen über Buchenwald zum krönenden Finale. Ein überraschender Schluss, in dem das Wesen des Bauhauses intensiv spürbar wird. So tragisch und schön, dass ich überwältigt bin.
Daumen runter
- Irritierend. In der Mitte des Romans kommen mir plötzlich Zweifel. Was eigentlich will Naomi Wood mit ihrer Story? Ist das jetzt ein historischer Roman, ein Bauhaus-Roman oder einfach ein Liebesroma? Kaum gedacht, werde ich aber schon wieder in den Strudel der Ereignisse hineingezogen, um dann am Schluss – zur Bauhäuslerin getauft – wieder an der Oberfläche aufzutauchen.
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Die Autorin
Naomi Wood wurde 1983 in Yorkshire/England geboren. Sie studierte in Cambridge und promovierte an der University of East Anglia, an der sie auch Kreatives Schreiben unterrichtet. Mit ihrem erfolgreichen Roman «Als Hemingway mich liebte» gelang ihr 2016 der internationale Durchbruch. Sie lebt mit ihrer Familie in Norwich.
Das Buch: Naomi Wood: «Diese goldenen Zeiten» (Atlantik, 2019)
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