Amma, Anfang 50, lesbisch, feiert nach Jahren harter Arbeit den Durchbruch als Dramatikerin. Die Premierenfeier ihrer ersten Inszenierung am renommierten «National Theatre» in London steht kurz bevor. Sie ist aufgeregt. Ihre Familie und alle ihre Freundinnen und Freunde werden kommen. Darunter Robert, Dominique, Yazz und Shirley.
Robert ist Ammas engster Vertrauter und Sparringpartner in intellektuellen Angelegenheiten. Er ist der biologische Vater von Yazz, ihrer gemeinsamen Tochter. Als schwuler Professor für modernes Leben ist er oft am TV zu sehen.
Dominique ist Ammas Seelenverwandte. Sie lebt in den Staaten und veranstaltet Kunstfestivals. Eine wandelnde Göttin, «absolut umwerfend, grösser als die meisten anderen Frauen, schlanker als die meisten anderen Frauen, mit messerscharfen Wangenknochen und verhangenen Augen mit langen Wimpern, die buchstäblich Schatten auf ihr Gesicht werfen».
Shirley ist Ammas Konstante seit Kindstagen. Sie ist heterosexuell. Insgeheim stösst sie sich an knutschenden Frauen. Als verantwortungsvolle und pragmatische Lehrerin hat sie Generationen von Arbeiterkindern schulisch weitergebracht. Für sie bildet Amma «einen faszinierenden, künstlerisch-radikalen Gegenpol».
Amma wirft ihren Kaffeebecher weg und geht zum Bühneneingang. Wie ihr Stück vom Publikum und der Presse wohl aufgenommen wird? Fast alle Vorstellungen von «Die letzte Amazone von Dahomey», Buch und Regie: Amma Bonsu sind ausverkauft.
Daumen rauf
Bunt. Bernardine Evaristos Roman funktioniert wie ein Kaleidoskop. Und zwar so, wie wenn man die Leben der zwölf schwarzen Britinnen als glitzernde Steinchen in ein verspiegeltes Rohr einfüllen und schütteln würde. In immer wieder neuen gespiegelten Formationen bilden die schillernden Steinchen ein diverses, grosses Ganzes. Wow!
Mutig. Dieser Roman ist ein leidenschaftliches politisches Statement. Schwarze Frauen zählen! Amma hat bereits früh gelernt ihre Stimme zu erheben. Als junge Frau hat sie ihre eigene Theatergruppe «Bush Woman Theatre Company» gegründet, um die Geschichte schwarzer Frauen auf die Bühne zu bringen. Und um sich selbst zu verwirklichen. Denn in den 80er Jahren kamen für Schwarze nur Rollen wie «Sklavinnen, Hausangestellte, Prostituierte, Kindermädchen oder Kriminelle in Frage», wenn überhaupt.
Wach. Wer diesen Roman liest, erfährt Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Unterdrückung am eigenen Leib. Wird überwach gegenüber Rassismen und Sexismen. Das nennt man woke. Für Yazz ist woke sein ganz normal. Sie ist selbstbewusst, rebellisch und entspannt in Race- und Genderfragen.
Vital. Bernardine Evaristos Heldinnen sind selbstbewusst, sprühen vor Lebensenergie und leuchten von innen heraus. Schöne Frauen. Egal ob sie fünfzig, siebzig, dreiundneunzig oder neunzehn sind. Egal ob das Schicksal zuschlägt, Liebe vergeht oder Träume begraben werden müssen.
Up to date. Hier geht es um Feminismus, Sexualität, Gender als soziales Konstrukt, Lesben und trans* Menschen. Manchmal fühle ich mich etwas überfordert. So wie Shirley. Wenigstens bin ich jetzt up to date.
Kreativ. Bernardine Evaristo schreibt in lockerem Ton und mit viel Humor. Ihre Sprache ist klar, bildstark, dialogisch und melodisch. Sie verwendet keine Punkte. Mit lyrischen Wort-Wiederholungen und Verdichtungen schreibt sie sich in mein Herz, mit Wortkreationen wie «Giernachten». Meine Lieblingsromanfigur Hettie, 93, verwendet diesen Ausdruck für Weihnachten.
Daumen runter
Nichts zählt.
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Die Autorin
Bernardine Evaristo wurde 1959 als viertes von acht Kindern in London geboren. Sie ist Professorin für Kreatives Schreiben an der Brunel University London und stellvertretende Vorsitzende der Royal Society of Literature. Für ihren Roman «Mädchen, Frau etc.» wurde sie als erste schwarze Schriftstellerin 2019 mit dem Booker-Preis ausgezeichnet.
Das Buch: Bernardine Evaristo: «Mädchen, Frau etc.» (Tropen, 2021)
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