Blanca ist 15. Ihre Mutter war 16, als sie Blanca zur Welt brachte. Die beiden hassen und lieben sich, weil sie von Grund auf verschieden sind. Blanca sehnt sich nach Geborgenheit, nach Halt und Ordnung. Die Mutter findet das spiessig. Alle paar Monate ziehen die beiden um: neuer Ort, neuer Job, neue Schule, aber keine neuen Freunde: «Ich versuchte dort, wo wir gerade waren, überhaupt niemanden mehr zu finden, dem ich hätte Tschüss sagen wollen».
Das Leben mit ihrer Mutter macht Blanca krank. Sie fühlt sich einsam, kriegt kaum Luft. Hat Angst vor dem Sterben, aber noch mehr vor dem Leben. Nur einmal, mit 9, da war sie einen Sommer lang glücklich. Bei Toni und seinem Vater Karl in Italien. Und an diesen Sehnsuchtsort will Blanca zurück. Dort will sie neu anfangen: «Mein Leben ist ab jetzt ein leeres Haus, und da kommt nur noch rein, was mir gefällt. Als Allererstes Toni und Karl.»
Daumen rauf
- 15 again. Die Autorin schaut in den Kopf eines Teenagers hinein. Das ist erschreckend und zugleich erhellend. Ich erinnere mich an meine eigene Adoleszenz. Wie viel Dampf ich damals ablassen musste. Fazit: Eigentlich verstehe ich ja meine Kids. Daher, nebst allen anderen Erziehungsmethoden: zwischendurch Fünfe grad sein lassen, wenn mal wieder - Beng! - eine Türe knallt.
- Starke Persönlichkeitsstudie. Die Autorin zeigt eindrücklich auf, nach welchen Mustern Blanca und ihre Mutter ticken. Dass viele ihrer Probleme und Missverständnisse auf der Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung basieren. Blanca gibt sich nach aussen hin frech, taff, selbstsicher, aber fühlt sich innerlich ängstlich und unsicher. Sie realisiert gar nicht, wie unglaublich mutig sie ist. Eine Kämpferin, die ihre Ängste überwindet, um ihren eigenen Weg zu gehen. Liebe Blanca, schreib dir das hinter die Ohren: So wie du bist, bist du richtig. Punkt.
- Buch mit Diskussionspotential. Was darf einem jungen Menschen zugemutet werden? Und wie kann man ihm helfen? Blanca leidet unter ihrer Mutter. Das ist offensichtlich. Es gibt eine krasse Szene: Als Blanca erfährt, dass sie erneut die Schule wechseln muss, spuckt sie ihrer Mutter beim Autofahren ins Gesicht. Und die dreht durch. Packt Blanca, wirft sie aus dem Auto in einen Strassengraben. Lässt sie liegen und fährt fort. Erst Stunden später kehrt die Mutter zurück. Psychoterror pur. Ob da Altlasten bleiben? Gleichwohl wächst Blanca auch an solchen Situation. Ist reifer als alle ihre Altersgenossen. Beispielsweise weiss sie sich zu helfen, wenn mal wieder eine Panikattacke kommt: «Manchmal hilft es, Menschen zu fixieren, die aussehen, als hätten sie ihr Leben im Griff. Wenn die in der Nähe sind, kann einem nichts passieren.»
- Frische Sprache. Lauenstein Schreibstil ist rhythmisch, fliessend. Besonders diesen Satz finde ich als Schweizerin Spitze: «Karls und Tonis Deutsch klang anders als unseres, ewig gut gelaunt, wie ein Spiel mit lauter fröhlichen Loopings und Rampen und Trampolinen.» Hehe, Schwizerdütsch halt.
Daumen runter
- Ein Coming-of-Age-Roman in Form eines Roadtrips. Naja, auch schon dagewesen.
- Durchzogen authentisch. Manchmal lässt die Autorin Blanca Dinge sagen, die ein Teenager so nie sagen würde. Weil ihm einfach das Weltwissen und der tiefenpsychologische Durchblick fehlen.
- Betroffenheitsliteratur, mit einem leicht naiven Touch. Och, das arme Mädchen, mit dieser bösen, bösen, verrückten Mutter. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Autorin auch die Problematik von minderjährigen Teenager-Müttern thematisiert. Denn die Mutter ist nicht einfach böse. Sie ist vorallem eines: überfordert!
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Die Autorin
Mercedes Lauenstein, geboren 1988, lebt als Schriftstellerin und Journalistin in München und Italien. Seit 2009 schreibt sie als freie Autorin Essays und Reportagen für verschiedene Zeitungen und Magazine. Für ihr Debüt «Nachts» wurde sie 2016 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet.
Das Buch: Mercedes Lauenstein: «Blanca» (2018, Aufbau).
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