Fünf Mal war ich nah dran, «Alles über Heather» von Matthew Weiner aus dem Fenster zu schmeissen. Gesegelt wäre das Buch gut: Dünn, leicht, aerodynamisch. Aber eben: wäre.
«Alles über Heather» ist ein Drama in fünf Akten. Die Geschichte eines Mörders auf knapp 144 Seiten. Abstossend-oberflächlich und aufregend-intim. Beides in Einem. Und das macht mir zu schaffen.
Heather ist 14 Jahre alt. Sie lebt mit ihren Eltern zusammen in einer Wohnung in Manhattan, New York. Über ihnen baut einer sein Penthouse um. Lärm, Dreck und Staub stören. Aber wirklich schlimm ist ein Bauarbeiter. Dieser verschlingt Heather mit lüsternen Blicken. Nachdem er sie zuvor in Grenouille’scher Manier erschnüffelt hat:
«Auf seinem hohen Aussichtsposten nahm Bobby an einem späten Nachmittag zum ersten Mal den Hauch eines Duftes wahr, bei dem ihm der Kaffee aus der Hand fiel und er tief einatmen musste. Nase und Lunge füllten sich mit einer Mixtur aus Zigaretten, Seife und Blut, die wie in einer Explosion von einem hochgewachsenen, schlanken Mädchen aufstieg, das in sein Handy sprach.»
Daumen rauf
- Matthew Weiner hat in der Schule aufgepasst. Er weiss alles über das klassische Regeldrama. Strebersack!
- Guter Suspense. Besonders im letzten Drittel. Da wollen die Augen schneller über die Seiten fliegen, als dass ich blättern kann.
- Unterhaltsam. «Alles über Heather» liest sich wie ein rasanter Filmstreifen – in nur drei Stunden Lesezeit.
- Wohltuender Sarkasmus. Leider zieht Weiner diesen nicht durch. Am Ende setzt er auf Action anstatt auf pointiertes Erzählen. Schade!
- Glasklare Psychogramme. Weiner seziert seine Figuren. Beschreibt messerscharf, wie es in ihrem Innersten aussieht. Mit was für Problemen ein Ehepaar in der Krise, eine Pubertierende und ein Sexualverbrecher zu kämpfen haben.
Daumen runter
- «Alles über Heather» ist nach einem naiven Masterplan erzählt. Auf der einen Seite haben wir die schöne, intelligente, charmante und mitfühlende Heather aus reichem Haus. Auf der anderen Seite den perversen Bösewicht aus versifften Verhältnissen. Diese beiden Extreme treffen aufeinander. Logo, kommt das nicht gut.
- Purer Voyeurismus. Diese Geschichte lebt vom «Sich-satt-sehen-am-Bösen». Und von der Neugierde, wann passiert was und wie. Und ich geifere mit. Igitt.
- Weiner will mit seiner Geschichte zeigen, dass aus Gutem etwas Böses werden kann. Aber das nimmt man ihm am Ende nicht ab. Die Schuldfrage stellt sich nicht. Die Guten bleiben gut, auch wenn sie Böses tun. So ein Mist.
- Am meisten nervt mich, dass Weiner damit spielt, dass ich von ihm als Regisseur erwarte, dass er das Voraussehbare nicht einlösen wird. Und da stellt sich mir die Frage: Warum spielt er überhaupt mit dem Voraussehbaren? Ganz einfach: weil sich das gut verkauft. Und weil er es nicht besser kann!
- Reiner Eskapismus. Und damit kann ich nichts anfangen. Ich bin eher der angriffige Typ. Darum: Bye bye liebe Heather. Das Fenster ist offen. Schönen Flug!
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Der Autor
Seit zwanzig Jahren erzählt Matthew Weiner erfolgreich Geschichten, zuletzt als Autor, Produzent, Regisseur und Erfinder der TV-Serie «Mad Men». Davor war er u.a. als Autor und Produzent für die Mafiaserie «The Sopranos» tätig. Weiner lebt in Los Angeles. «Alles über Heather» ist sein erster Roman.
Das Buch: Matthew Weiner: «Alles über Heather» (2017, Rowohlt)
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