Wer hätte gedacht, dass hier mal Franco Begbie aus «Trainspotting» einen Solo-Auftritt hat. Der brutale Gangster, Schläger und Messerstecher aus Leith, Edinburgh. Jahre hat er wegen Totschlag im Knast verbracht. Doch jetzt scheint dieses Kapitel vorbei zu sein. Franco Begbie lebt seit mehreren Jahren in Kalifornien. Hat seine Kunsttherapeutin Melanie aus dem Strafvollzug geheiratet. Ist Vater von zwei süssen Mädchen. Und hat seine Berufung als Künstler gefunden.
Er fertigt Skulpturen von Hollywoodgrössen an und verstümmelt diese dann mit seinen Messern. Die Stars reissen sich darum. Doch dann passiert das Schreckliche. Einer seiner Söhne aus einer früheren Beziehung wird in Edinburgh erstochen. Und Begbie kehrt zurück zu seiner Ex auf einen kurzen «Abstecher»:
«Ihre Lippen beben, ihr Blick fleht. Doch dann wendet sie sich abrupt von ihm ab und geht zurück in die Wohnung. Als er ihr folgt, überwältigt ihn der Mief nach Katzen, altem Frittierfett und schalem Tabakrauch. – Unser Sohn, Frank, unser Sean, was wirste deshalb unternehmen? Jemand hat unseren Jungen umgebracht, und du tust gar nix! – Wir sehen uns, sagt er und steht auf, um zu gehen. Es ist ein vertrautes Muster. Hinter vorgehaltener Hand und mit diesen überheblichen und griesgrämigen Mienen verteufeln sie so lange seine Gewalttätigkeit bis sie ihn brauchen, weil sie es irgend so nem Arsch heimzahlen wollen, und dann mutiert er auf einmal zum Helden. Manipulation. Über all das hatte er mit Melanie gesprochen und mit seinem Mentor John Dick, dem Gefängnisaufseher.»
Daumen rauf
- «Kurzer Abstecher» ist ein rasanter Splatter-Thriller mit Blutspritzereien à la Kill Bill.
- Schon nach ein paar Zeilen habe ich Lust, die Verfilmung von «Trainspotting» wieder zu schauen. Das Junkie-Drama mit gutem Soundtrack und einem super Ewan McGregor, der den Anti-Helden Mark Renton spielt: heftig, eklig, authentisch.
- Wie Irvine Welsh in die Psyche von Psycho Begbie hineinschaut. Begbie kann seine Gewaltausbrüche durch Mentaltraining unter Kontrolle bringen. Einatmen, Ausatmen, Einatmen, Ausatmen. Das funktioniert auch bei mir immer.
Daumen runter
- Null Identifikationpotential. Die Figuren sind schablonenhaft gezeichnet. Mit einem geläuterten Ex-Knacki, der weiterhin seine Messer wetzt, kann ich nichts anfangen. Und mit seiner Kunstherapeutin, einer Blondine mit Knack-Arsch, noch viel weniger. Denn sie setzt auf Vogelstrauss-Taktik: Solange Begbie nicht gefährlich für sie und ihre Kinder wird, verschliesst sie die Augen vor seinen Gewaltexzessen.
- Null Kultverdacht. Dieses Buch ist Meilen entfernt von einer Negativ-Satire im Stil von «Trainspotting». Dort gelingt es Welsh, ein kritisches Bild der britischen Gesellschaft und der Post-Punk-Bewegung in den 80er Jahren zu zeichnen. Was davon in «Kurzer Abstecher» bleibt: fette Wänste und wandelnde Alkohol-Leichen. Unappetitlich.
- Null Aussagekraft. Diese Story lebt von roher, sinnloser Gewalt. Und von der Erkenntnis: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Flopp.
- Null Anspruch und schon gar nicht literarisch. «Kurzer Abstecher» ist nach einem einfachen Muster gestrickt. Rache und Gewaltsucht treiben Begbie an. Und diese tarnt er mit Nächstenliebe. Denn Begbie liebt seine amerikanische Frau und seine zwei Töchter. Und diese Liebe ist seine Achillesferse. Darum bringt er gleich prophylaktisch alle früheren und zukünftigen Gegner um, die seinen Liebsten etwas antun könnten. Ächz.
- Null Relevanz. «Kurzer Abstecher» hätte das Potential zu einer Real-Satire. Gerade was Hollywood und das Kunst-Business angeht. Hätte.
- Null Lese-Satisfaktion. Am Ende trifft Begbie noch auf Mark Renton, dessen Haar auch schon dichter war. Oje, Irvine Welsh kann einfach nicht von seinen «Trainspotting»-Lieblingen lassen. Warum habe ich mir das bloss angetan?
Und was meint ihr? Sagt mir und diskutiert auch miteinander, was ihr über «Kurzer Abstecher» von Irvine Welsh denkt - auf Facebook.
Der Autor
Irvine Welsh, geboren 1957 in Leith im Norden von Edinburgh, schreibt Romane und Kurzgeschichten. Er gilt als einer der wichtigsten Autoren der Underground-Literatur. Sein Debütroman «Trainspotting» und die gleichnamige Verfilmung mit Ewan McGregor machten ihn international bekannt.
Das Buch: Irvine Welsh: «Kurzer Abstecher» (2017 Heyne Verlag)
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