Damaskus. Sulaima, 30, ist seit Jahren Panikpatientin. Weder Seelenklempner noch Tranquilizer können ihr helfen. Doch dann lernt sie im Wartezimmer ihres Psychologen ihre grosse Liebe kennen: Nassim, Arzt und Schriftsteller. Eine Liebe, von der am Ende nichts bleibt – ausser ein Manuskript.
Dieses Romanmanuskript schickt Nassim Sulaima per Post. Es ist die Biografie einer Frau, deren Leben von Angst dominiert wird. Sulaima erkennt sich selbst und ist schockiert: Nassim hat ihr Leben gestohlen und diesen Roman geschrieben? Und warum ist das Ende offen? Sie ahnt: Er will, dass sie das Ende schreibt und damit sich selber heilt. Ein brillanter Schachzug!
Daumen rauf
Originell. Da trifft sich halb Damaskus im Wartezimmer eines desillusionierten Psychologen: Mann, Frau, Regimeanhänger, Oppositionelle, Opfer und Mörder. Und alle haben das Gleiche: Angst.
Aktuell. Dieses Buch lässt mich in die verängstige Seele Syriens blicken. Ich kann physisch nachempfinden, wie das ist, wenn einen die Angst überfällt: die Angst vor der Angst, die Angst vor allem und jedem.
Hintergründig. Dima Wannous macht deutlich, wer für die Brüche in der syrischen Gesellschaft und für die Gräuel der letzten Jahre verantwortlich ist. Das Regime, das mit straffer Hand bereits Schulkinder zum Schweigen bringt: «Die Schule war ein Ort, an dem die Schülerinnen die unterschiedlichsten Lebensentwürfe in einem Land wie «Assads Syrien» durchspielten. Der Ort, wo sie dressiert wurden und lernten, Beleidigungen schweigend einzustecken; wo sie zu Gehorsam und Respekt gegenüber Stärkeren und Autoritäten erzogen wurden; wo sie lernten, sich gegenseitig zu verhöhnen und die Mädchen aus den Mittelschichtsfamilien als Schwächlinge zu betrachten.»
Tragisch. Dima Wannous führt vor Augen, wie tief die Spaltung der Gesellschaft in Syrien fortgeschritten ist. Sulaima wächst unter beinharten Frauen auf. Die Männer sind entweder abwesend, krank, behindert, tot oder Mörder. Ihr Vater stirbt an Krebs. Sulaimas Bruder an Folter. Der Onkel, ein Regimeanhänger, hat schon neun Menschen getötet und erzählt Sulaima, dass sie durchaus der zehnte sein könnte. Ihre alawitische Cousine wünscht ihr und ihrer sunnitischen Mutter den Tod. Und Sulaima fragt sich: «Schläft der Mensch als Mensch ein und wacht als Bestie wieder auf?»
Kunstvoll. Dima Wannous lässt die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit virtuos verschwimmen. Ihre Protagonistin Sulaima liest Nassims Manuskript. Taucht dabei in das Leben ihres literarischen Spiegelbilds ein. Das wiederum löst bei ihr einen Selbstfindungsprozess aus. Sulaima erkennt, dass ihre Panikanfälle eine Abwehr- und Schutzvorrichtung sind. Schutz vor der harten Wirklichkeit.
Daumen runter
- Sulaimas Angst ist die eigentliche Haupfigur in diesem Roman. Das geht stellenweise so unter die Haut, dass ich es kaum ertragen kann.
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Die Autorin
Dima Wannous ist 1982 in Damaskus geboren. Sie studierte Französische Literatur an der Universität Damaskus und an der Sorbonne in Paris. Seit 2003 schreibt sie regelmässig für arabischsprachige Tageszeitungen. «Die Verängstigten» stand auf der Shortlist für den «International Prize for Arabic Fictioin 2018», dem bedeutendsten Literaturpreis der arabischen Welt. Es ist der erste Roman von Dima Wannous, der auf Deutsch erscheint. Die Autorin lebt derzeit in London und moderiert eine Sendung für das syrische Fernsehen.
Das Buch: Dima Wannous: «Die Verängstigten». Aus dem Arabischen und mit einem Nachwort versehen von Larissa Bender (2018, Blessing)
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