Ihr habt noch nie was von Kathleen Collins gehört?! Halb so wild. Konntet ihr auch nicht. Die afroamerikanische Autorin ist seit dreissig Jahren tot. Hat zu Lebzeiten nur eine einzige Erzählung veröffentlicht und ist erst jetzt entdeckt worden. Weil ihre Tochter endlich mal Zeit gefunden hat, die alte Schiffstruhe ihrer Mutter zu durchstöbern. Darin fand sie: Storys. Von einer Wucht und Wortgewalt, wie man sie nur selten zu lesen bekommt.
Besonders berührt hat mich die Erzählung «Der Onkel». Hauptfigur ist Collins' Lieblingsonkel. Ein schöner, schwarzer Mann. Ein Marlon-Brando-Typ. Ein Sportler, der, weil er wegen Asthma nicht mehr rennen darf, tagelang im Bett hockt. Mit den Kindern Donuts mit Puderzucker und Eis verdrückt. Die Ich-Erzählerin erinnert sich, wie unbeschwert diese Sommertage waren, als sie und die andern Kids auf seinem Bett herumgeturnt sind. Wie sie ihn bewundert haben: «Pleite zu sein und trotzdem so anziehend und schön, so faul und grossherzig.» Doch in Wirklichkeit war alles andes. Schon damals hatte er den Kampf mit dem Leben aufgegeben. Sich beharrlich geweigert, Verantwortung zu übernehmen. Wie so viele Männer in Collins Geschichten. Blieb im Bett, weinte sich in den Schlaf und am Ende in den Tod. Dabei war er noch keine vierzig. «Ein Sportler von olympischem Format».
Daumen rauf
- Rhythm and Blues! Das hat einen Beat, der mitreisst, aufrüttelt und eine Traurigkeit, die niederdrückt. Immer wieder bedient sich Collins Satzwiederholungen. Setzt diese wie Refrains ein. Das gibt ihren Geschichten eine Melodik, die dem Blues eigen ist.
- Wortgewaltig. Bei Collins wimmelt es nur so von tollen Sätzen. Aber dieser ist der absolut beste. Ihr findet ihn in der Erzählung «Innen», in der es um eine gescheiterte Liebesbeziehung geht: «Ich fing an, abends zwischen sechs und acht über die Brooklyn Bridge zu gehen, und schliff die Kanten meiner Traurigkeit im leuchtenden Sonnenuntergang, liess sie mit dem Rauschen des Verkehrs, das unter mir wie Brandung auf- und abschwoll, und dem fahlen Glanz der New Yorker Skyline verschmelzen.»
- Reichhaltig. Collins schreibt über eigene Erlebnisse und Gefühle. Über Einsamkeit, Verlust, Liebe, Träume, Sehnsüchte, Desillusionierung und Diskriminierung. Ich lerne die Leiden und Nöte einer jungen Filmemacherin kennen, die als Schwarze, Frau und Künstlerin benachteiligt ist , hart um Anerkennung kämpft und erst posthum Beachtung findet...
- Politisch. Alle Kurzgeschichten stammen aus den 60er Jahren. Als Martin Luther King und auch Kathleen Collins den Traum von Gleichberechtigung hatten. Interessant auch wie die Autorin eigene Stereotype hinterfragt, wenn sie bspw. schreibt: «Ich bilde mir nichts darauf ein, aber ich war die erste Farbige, die er ernsthaft als Geliebte in Betracht zog. Die erste, die über das Savoir-faire verfügte, das ihm so unermesslich wichtig war. Die erste mit Stil, Geschmack, Eleganz, Witz und einem Faible für Lyrik und Haute Cuisine. Eine Farbige mit Stil ist nämlich immer noch die Ausnahme. Ich jedenfalls kenne nicht eine, die so ist wie ich... Als wäre ich allem Rohen und Unkultivierten irgendwie entkommen».
Daumen runter
- Nicht alle 16 Geschichten haben mir gleich gut gefallen. Manche haben etwas Unscharfes an sich. Aber vielleicht ist gerade das, das Besondere an Collins Schreibstil. Um mit ihren eigenen Worten zu sprechen: «Ein bisschen verwackelt an den Stellen, wo ich zu aufgeregt war; ich hatte ein paar Schwenkzooms probiert und die Schärfe nicht schnell genug nachgezogen. Aber es hatte was von Kunst. War lebendig. Brachte die Stimmung gut rüber. »
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Die Autorin
Kathleen Collins wurde 1942 in New Jersey geboren. Sie war früh politisch aktiv und setzte sich 1962 für das Wahlrecht der Schwarzen in Georgia ein. Sie ist eine Pionierin des afroamerikanischen Films. Ihre grössten Erfolge erlebte sie jedoch nicht mehr. Sie starb 1988 an Brustkrebs. Erst 27 Jahre später feierte ihr filmisches Meisterwerk «Losing Ground» seine umjubelte Premiere in New York. Ein Jahr später erschienen ihre Storys in den USA.
Das Buch: Kathleen Collins: «Nur einmal» (2018, Kampa Verlag)
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