«Wenn Du einmal Kummer oder Sorgen haben solltest im Leben, dann geh wie jetzt mit offenen Augen durch den Wald und in jedem Baum und in jedem Strauch, in jeder Blume und in jedem Tier wird Dir die Allmacht Gottes zum Bewusstsein kommen und Dir Trost und Kraft geben.» Das ist eines meiner liebsten Filmzitate. Es stammt aus «Sissi» mit Romy Schneider. Hätte Usama Al Shahmani dieses Zitat gekannt, dann wäre er vermutlich schon viel früher durch Wald und Wiesen gegangen. Doch den Wald kennt er nur aus Geschichten und Märchen, die ihm seine Grossmutter als Kind erzählt hat. Unheimlich, voller böser Geister soll er sein. Egal. Denn dort, wo er aufgewachsen ist, gibt es keinen Wald, sondern Dattel-, Oliven-, Granatapfel-, Zitronenbäume und Palmenhaine.
«In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» ist ein autobiografischer Roman. Der Autor erzählt wie er aus dem Irak flieht und in der Schweiz eine neue Heimat findet. Doch der Spagat zwischen der alten und der neuen Heimat ist gross. Zum Glück gibt es da Bäume, mit denen man arabisch sprechen kann. Über Trauer, Sehnsüchte, Hoffnungen, darüber, dass der eigene Bruder im Irak spurlos verschwunden ist, während man selbst mitten im Asylverfahren steckt.
Daumen rauf
- Wertvoll. Eine schweizerisch-irakische Kulturgeschichte des Baumes. Ich erfahre, dass der Granatapfelbaum in der arabischen Kultur der Baum der Liebe ist. Das rührt daher, dass an ihm viele Granatäpfel hängen und ein einziger von ihnen einen ganz besonderen Kern innehat. Dieser Kern gehört dem Paradies, und wer diesen Kern gekostet hat, dem soll Liebe, Freude und Glück im Leben zukommen. Darum: «Teile nie eine Granatapfelfrucht mit jemandem, mein Sohn, denn du weisst nicht, ob du nicht deine Liebe weitergibst». Oder: Die Fichte wird im Nordirak der Baum der Rückkehr genannt, weil man sagt, «dass die kleinen Vögel immer wieder zu jenem Baum zurückkehren, wo sie das Fliegen gelernt haben. Viele irakische Mütter binden deshalb die Nabelschnur ihrer neugeborenen Söhne an einen Ast. Egal, wohin er einmal ginge, er würde immer zurückkehren.»
- Berührend. Eine Hommage an Ali, Al Shahmanis jüngsten Bruder. Er ist in Bagdad spurlos verschwunden. Die Familie geht davon aus, dass er ermordet wurde. Der letzte Satz Alis am Telefon quält den Bruder immer noch: «Hol mich hier raus».
- Anregend. Was heisst Leben im Exil? Was ist Heimat? Verrät man seine Familie, wenn man nicht mehr zurückkehrt? Der Autor versucht, auf solche schwierige Fragen eine Antwort zu finden. Ich verstehe und kann nachempfinden wie belastend es für den Ich-Erzähler ist, zwischen zwei Welten hin und her gerissen zu sein. Hier in Sicherheit zu leben, dort seine Liebsten, in Gefahr von Bürgerkrieg und Terror zu wissen.
- Aufschlussreich. Der Autor erklärt mir den Irak. Wie Krieg, Diktatur, Gewalt und Terror die Gesellschaft gespalten und Misstrauen bei den Leuten gesät haben. Diese Situation dauert bis heute fort. Ein Umstand, der sich auch in der gesprochenen Sprache der Irakerinnen und Iraker manifestiert. «Wie oft hörte ich ganz genau zu, wie die Schweizer miteinander redeten oder diskutierten und bemerkte schnell, dass sie keinen Krieg gehabt hatten.»
- Geheimtipp. An einer Stelle im Buch wird ein Schweizer Café erwähnt, das wie ein Stück Bagdad ist. Das kann man doch nicht einfach so stehen lassen. Bitte, bitte Usama, verrätst Du, wo es ist?
Daumen runter
- Usama Al Shahmani schreibt auf Deutsch. In einer anschmiegsamen Sprache. Gleichwohl holpert es zwischendurch. Gewisse Formulierungen sind umständlich, wirken sperrig. Das kostet eine Krone. Aber wie ein arabisches Sprichwort schön sagt: «Wer Honig gewinnen will, muss mit Bienenstichen rechnen».
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Der Autor
Usama Al Shahmani wurde 1971 in Bagdad geboren. Er hat arabische Sprache und moderne arabische Literatur studiert. 2002 musste er wegen eines regimekritischen Theaterstücks fliehen. Usama Al Shahmani lebt mit seiner Familie in Frauenfeld. Im Limmat Verlag ist von ihm und Bernadette Conrad «Die Fremde - ein seltsamer Lehrmeister. Eine Begegnung zwischen Bagdad, Frauenfeld und Berlin» erschienen.
Das Buch: Usama Al Shahmani: «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» (2018, Limmat)
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