Normalerweise ist Keigo Higashino ein sicherer Wert. Sein letztes Buch «Ich habe ihn getötet» hat mich begeistert. Ein Ermittlungskrimi, aus der Perspektive von drei Mordverdächtigen geschrieben. Super packend.
Keigo Higashino ist ein Könner, deshalb habe ich mich auf seinen neuen 720 Seiten starken Thriller «Unter der Mitternachtssonne» gestürzt. Und bin enttäuscht. Grummel.
Alles beginnt 1973. Ein Pfandleiher wird in Osaka umgebracht. Doch die Ermittlungen verlaufen im Sand. Bis Kommissar Sasagaki 20 Jahre später auf die Spur von Ryo und Yukiho kommt. Ryo ist der Sohn des Opfers. Yukiho die hübsche Tochter der Hauptverdächtigen. In ihrem Umfeld häufen sich Mord und sexuelle Übergriffe. Kommissar Sasagaki wird hellhörig. Kennen die beiden sich? Spannen sie zusammen? Er entwickelt eine Theorie: Ryo und Yukiho bilden eine Symbiose wie zwei Meerestiere:
«Ein Knallkrebs gräbt sich eine Höhle und wohnt darin. Aber manchmal nistet sich auch jemand anders darin ein. Eine Grundel. Zum Dank bewacht sie den Eingang der Höhle und warnt den Krebs, wenn sich von aussen ein Feind nähert. Eine für beide profitable Zusammenarbeit, so was nennt man Symbiose.»
Daumen rauf
- Gut, wie der Autor die Perspektiven wechselt. Erst bin ich mit Kommissar Sasagaki unterwegs. Dann sehe ich ihn mit den Augen der Opfer und der Verdächtigen: Ein Polizist, der aussieht wie ein Sushi-Koch, mit grauem Haar und Mittelscheitel.
- Interessant auch der Blick in die japanische Gesellschaft. Ich erfahre, dass sexuelle Übergriffe in Japan ein grosses Tabu sind. Wer damit an die Öffentlichkeit geht, verstösst gegen die Regeln und wird fertiggemacht. Bang, Bang. Hat man auch in der japanischen #MeToo-Debatte gesehen.
Daumen runter
- Dieser Thriller ist kein Thriller. Erst auf den letzten 100 Seiten entwickelt er einen Anflug von Spannung. Nur leider weiss ich da schon lange, worauf die Geschichte hinausläuft.
- Viel zu viel Personal. Und dann noch alle mit japanischen Namen. Am Ende weiss ich nicht mehr: Wer ist wer und wer hat wen umgebracht. Vor lauter: Sasagaki, Tagawa, Terasaki, Nishimoto, Nagatsuka, Matsuno, Koga, Kirihara, Fujimura, Akiyoshi, Imadea, Takamiya, Misawa, Sugawara, Kazunari, Tezuka, Shinozuka. Und das sind nur ein paar!
- Verwirrende Zeitsprünge. Der Autor hüpft im Drei-Jahres-Rhythmus voran. Macht das aber nicht kenntlich. Das nervt mich.
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Der Autor
Keigo Higashino, geboren 1958 in Osaka, Japan. Nach seinem Ingenieur-Studium begann der Kapitän einer Bogenschützenmannschaft Kriminalromane zu schreiben. Viele davon wurden für Kino und Fernsehen adaptiert und mit Preisen ausgezeichnet. Er lebt zurückgezogen in Tokio.
Das Buch: Keigo Higashino: «Unter der Mitternachtssonne» (2018, Tropen)
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