Zum Inhalt springen

Die BuchKönig bloggt Mein literarischer Reiseführer zu Teheran

Iran, 1979. Eine junge Generation protestiert voller Optimismus gegen die islamische Revolution. Doch ihre Auflehnung tritt eine Lawine der Zerstörung los, deren Folgen sich bis heute zeigen. Drei iranische Romane erzählen davon. Treffsicher und so direkt, dass ich davon schwer beeindruckt bin.

Iran-Buch Nummer 1

Golnaz Hashemzadeh Bonde: «Was bleibt von uns» (Nagel & Kimche, 2018). Die Iranerin Nahid lebt in Schweden. Sie ist sechzig und wird bald an Krebs sterben. Doch bevor sie die Welt verlässt, will sie ihrer Tochter die Wahrheit über ihre Herkunft erzählen. «All das, was mit Schmerz und Verlust und Kampf zu tun hat.» All das, was sie 1980 in Teheran erlebt hat. Zu dem Zeitpunkt ist Nahid eine junge, frisch verliebte, hoffnungsvolle Medizinstudentin. Voller Idealismus geht sie mit ihrem marxistischen Freund auf die Strasse, um gegen die islamische Revolution zu protestieren. Doch dann unterläuft ihr ein unverzeihlicher Fehler. Sie nimmt ihre kleine Schwester Noora an eine Demo mit. Diese endet blutig. Im Chaos verschwindet Noora spurlos. Man vermutet, dass sie zu Tode gefoltert wurde. In diesem Moment stirbt Nahid zum ersten Mal. Und obwohl sie ein Baby bekommt und es ihr gelingt nach Schweden zu fliehen, ist es mit ihrem Lebensglück vorbei. Wie die Iranerin Golnaz Hashemzadeh Bonde dieses tragische Schicksal beschreibt, ist von solcher Intensität, dass es kaum auszuhalten ist. Auuuuuuuuuuuuuuuuuuu!

Das Buch von Golnaz Hashemzadeh Bonde: «Was bleibt von uns» vor einem Flugzeugfenster
Legende: 1. Satz: «Ich glaube, der Tod war immer bei mir.» SRF

Iran-Buch Nummer 2

Maryam Madjidi: «Du springst, ich falle» (Blumenbar, 2018). Maryam Madjidi erzählt in ihrem autobiografischen Debüt von ihrer Kindheit im Iran, vom Kampf ihrer Eltern für den Kommunismus und von ihrer Flucht, um in Frankreich ein neues Leben anzufangen. Ein Leben ohne Kampf, ohne Gefängnis. Ein Leben, in dem sie frei und sicher aufwachsen kann. Doch die kleine Maryam fühlt sich in Frankreich fremd, ihr Vater nutzlos und ihre Mutter lebensmüde. Von Sehnsüchten getrieben kehrt Maryam als junge Frau nach Teheran zurück. Dort realisiert sie schmerzlich, dass sie weder im Iran noch in Frankreich zu Hause ist. «Doch noch immer ruft mich der Iran mit leiser Stimme und tippt mir auf die Schulter, um sich in Erinnerung zu bringen. Aus einem Gefühl der Pflicht oder der Schuld heraus, aus Angst, die alten Verwandten nie mehr wiederzusehen, als ein Ritual, vielleicht sogar aus Liebe fühle ich mich in regelmässigen Abständen gedrängt, dorthin zurückzukehren.» Ein fesselndes und lebendiges Debüt über Sehnsüchte, verklärte Wunschvorstellungen und über den Iran von heute. Erinnert mich ein wenig an den Film «Taxi Teheran». Ich fahre mit Maryam durch die Strassen Teherans. Beobachte, sehe, kriege vieles mit. Nicht von ungefähr hat die Autorin für ihr Debüt den renommierten Prix Goncourt du Premier Roman 2017 erhalten. Bravo!

Der Roman von Maryam Madjidi: «Du springst, ich falle» vor einem Flugzeugfenster
Legende: 1. Satz: «Ein Mädchen wächst im Bauch einer Frau heran.» SRF

Iran-Buch Nummer 3

Amir Hassan Cheheltan: «Der standhafte Papagei» (Matthes & Seitz Berlin, 2018). Amir Hassan Cheheltan erinnert sich in seinem neuen Roman an die Zeit zwischen 1978 und 1979, als die ersten Flugblätter auftauchten, die den Sturz des Schahs forderten. Er war damals 22 und Student in Teheran, genauso wie sein Ich-Erzähler. In Anekdoten und aberwitzigen Alltagssituationen schildert er die revolutionären Ereignisse am Beispiel eines Teheraner Wohnquartiers. Erzählt von Wut, Chaos, Protest, Gewalt und Unsicherheit. Wie in den Strassen gekämpft und gestorben wurde. Wie Schnapshandlungen zerstört, Kinos und Theater geschlossen wurden. Aber auch von Hoffnung, sozialem Engagement und Zusammenhalt. Vom Genre her ist das Buch Dokufiktion. Cheheltan mixt Sachkunde, Historie und selbst Erlebtes gekonnt. Er lässt mich so hautnah nachempfinden, wie das Repressionsregime des Schahs zu einem neuen Repressionsregime unter Ayatollah Chomeini mutierte. Eine eindrückliche Pflichtlektüre für alle, die den Iran verstehen wollen. Amir Hassan Cheheltans Roman konnte im Iran nicht publiziert werden und ist daher zuerst auf Deutsch erschienen. Das hat der Schriftsteller in einem Interview für die Sendung Kontext 40 Jahre Iranische Revolution meinem Kollegen Markus Gasser verraten. Und der Papagei im Buchtitel – der basiert auf einer witzigen Anekdote. Eines Tages tauchte in Teheran ein Papagei auf, der ständig krächzte: «Lang lebe der Schah». Das hätte Tier wie Besitzer den Kopf kosten können. Die Bewohner des Quartiers versuchten daher den Vogel umzuerziehen. Doch der Papagei verweigerte sich «Es lebe die islamische Revolution» zu sagen und blieb dem Schah ein Leben lang treu.

Was wurde aus dem Papagei? Was wurde aus jenen, die sich dem neuen Regime nicht unterwerfen wollten? Davon erzählen Amir Hassan Cheheltan, Maryam Madjidi und Golnaz Hashemzadeh Bonde eindrücklich in ihren Romanen.

Das Buch von Amir Hassan Cheheltan: «Der standhafte Papagei»
Legende: 1. Satz: «Für Herrn Firuz begann die Islamische Revolution im Iran am 5. November 1978, als sein Sohn Homajun und ein paar Mitstreiter sein Spirituosengeschäft stürmten und Homajun persönlich den ersten Stein in das über die gesamte Breite des Ladens reichende Schaufenster warf.» SRF

Bücherliste

  • Golnaz Hashemzadeh Bonde: «Was bleibt von uns» (Nagel & Kimche, 2018)
  • Maryam Madjidi: «Du springst, ich falle» (Blumenbar, 2018)
  • Amir Hassan Cheheltan: «Der standhafte Papagei» (Matthes & Seitz Berlin, 2018)

Kennt ihr noch weitere Bücher, die im Iran spielen? Diskutiert mit auf Facebook Die BuchKönig bloggt. Sämtliche Blogs von der «BuchKönig» könnt ihr hier nachlesen. Und die «BuchBar» hier nachhören:

Audio
BuchBar zu Iran
aus BuchZeichen vom 05.02.2019.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 46 Sekunden.

Annette König

SRF Literatur Redaktorin & Bloggerin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Die Germanistin teilt in ihrem Blog «Die BuchKönig» ihre Lese-Leidenschaft mit allen, die Bücher lieben. Nebenwirkungen wie Herzklopfen, Melancholie, Heiterkeit, Verzauberung, Unbehagen und Anzeichen schwerer (Sprach)Verliebtheit sind nicht ausgeschlossen.

Zum Blog «Die BuchKönig bloggt»

Meistgelesene Artikel