Giovanna, 13, ist in der Pubertät. Sie fühlt sich hässlich, ist lustlos. Seit einem Jahr hat sie die Tage, wachsende Brüste, Angst vor Schweissgeruch. Ihr einziger Trost ist da die Liebe ihrer Eltern. Doch dann macht ihr Vater eine unbedachte Bemerkung: Sie komme ganz nach ihrer hässlichen und boshaften Tante. Als Giovanna das hört, bricht für sie eine Welt zusammen.
Giovanna fühlt sich von ihrem Vater verraten. Um Klarheit über das Gesagte zu erhalten, will sie unverzüglich ihre Tante kennenlernen, mit der ihre Eltern vor Jahren gebrochen haben. Eine Entscheidung, die für Turbulenzen sorgt. Denn Tante Vittoria weiss, wie sie Giovanna gegen ihren Vater aufhetzen und so ihrem Bruderherz eins auswischen kann.
Daumen rauf
- Tiefgründig. «Das lügenhaften Leben der Erwachsenen» ist ein psychologisches Meisterwerk. Ich sehe in den Kopf eines «Pubertiers» hinein. Bin nochmals dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn Jahre alt. Habe schlechte Laune, fühle mich fehl am Platz, lang, dünn, plump. Und dann diese Zornausbrüche und dieser plötzliche Schmerz in der Brust, wenn die Liebe zuschlägt.
- Einzigartig. Elena Ferrantes Beobachtungsgabe und Einfühlungsvermögen. Wer ihre Bücher liest, kann Menschen lesen. Besonders eindrücklich ist Ferrantes Schilderung, wie sich Giovanna in der Begegnung mit ihrer Tante von der Möglichkeit des Bösen in Erregung versetzen lässt. Oder wie sie ihren Eltern immer weitere Lügen auftischt und langsam in «das lügenhafte Leben der Erwachsenen» übertritt: «Es gelang mir nicht mehr, unschuldig zu sein, hinter den Gedanken existierten andere Gedanken, die Kindheit war vorbei.»
- Neapolità. Elena Ferrantes Lieblingsfigur heisst Neapel. Für einmal darf ich im schönen Quartier San Giacomo dei Capri wohnen. Mit dem Funicolare nach Vomero fahren, dann weiter in die Stadt hinunter bis zu Giovannas Schule, um dann in die wilde, unerforschte, aggressive und vulgäre Welt von Tante Vittoria in der Zona Industriale von Gianturco vorzustossen.
Daumen runter
- Déjà-Vu. «Das lügenhaften Leben der Erwachsenen» liest sich wie eine Wiederverwertung des Recherche-Materials zu Elena Ferrantes erfolgreicher vierbändigen Neapolitanischen Saga. Das bietet nicht viel neues. Ausser, dass ich leicht gelangweilt bin. Und auch wenn Giovanna als eigenständige Figur Ferrantes Neapel-Kosmos erweitert, wirkt das dennoch wie ein Verschnitt aus Lila und Lenu. Ihr kennt die beiden bestimmt aus «Meine geniale Freundin». Dort ist alles drin, was in «Das lügenhaften Leben der Erwachsenen» auch – wieder aufgegriffen wird. Freundschaft, erste Liebe, Sexualität, Schule, Zickenkrieg, Intrigen, Verrat, Familienbande, Lebenslügen, Mann, Frau, Klassenkampf, reich, arm, oben, unten, Volmero, Gianturco, Neapel!
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Die Autorin
Elena Ferrante schreibt unter Pseudonym. «Das lügenhaften Leben der Erwachsenen» ist der erster Roman, den die Autorin nach ihrer international erfolgreichen, vierbändigen Neapolitanischen Saga geschrieben hat. Im Suhrkamp Verlag erschienen u.a. auch Ferrantes frühere Romane «Lästige Liebe», «Frau im Dunkeln» und «Tage des Verlassenwerdens». Karin Krieger hat alle Bücher der italienischen Autorin ins Deutsche übersetzt.
Das Buch: Elena Ferrante: «Das lügenhafte Leben der Erwachsenen» (Suhrkamp, 2020)
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