Endlich ist mal was los. In Thalbach. Auf dem Dach eines Stadthauses steht eine junge Frau in grüner Latzhose. Zornig schmeisst sie Ziegel auf die glotzende Menschenmenge hinunter. Die sollen mal alle abhauen. Erst dann will sie springen.
Finn ist Velokurier und radelt gerade vorbei. Neugierig schaut er nach oben. Stellt seinen Blick scharf. Als er Manu erkennt, rutscht ihm sein Herz in den Magen und «pocht dort alles durcheinander». «Die schöne, stolze Manu. Das war alles, was er im Augenblick denken konnte, ansonsten war sein Kopf heiss und leer. Von Manu gelang ihm kein Standbild, nur zusammenhanglose Nahaufnahmen: ihre Zahnlücke, die Hornhaut auf ihren Fingerkuppen, die kleine Narbe unter der rechten Augenbraue. Wenn nur die Fassade nicht so blenden würde. Er wollte das Licht aus machen im Kopf und hier auf dem Platz, alles anhalten, abschalten, mit Manu schwimmen gehen.» Ob sein Wunsch in Erfüllung geht?
Daumen rauf
- Sinnlich. Lappert schreibt mit einer Sinnlichkeit, die einzigartig ist. Schön zum Beispiel die Stelle, in der die Springerin in der Nacht auf dem Dach steht und ihr Freund sie von unten betrachtet: «Manus Haare leuchteten blau, als das Licht sie streifte. Noctiluca, dachte Finn.» Das sind «diese winzigen Eizeller, die das Meeresleuchten verursachen». Oder dann die Beschreibung des Sprungs: «Eigentlich springt sie nicht, sie macht einen Schritt ins Leere, setzt den Fuss in die Luft und lässt sich fallen, mit offenen Augen lässt sie sich fallen, will alles sehen auf dem Weg nach unten, alles sehen und hören und fühlen und riechen, denn sie wird nur einmal so fallen, und sie will, dass es sich lohnt (…).»
- Unterhaltend. Ich verschlinge diesen Roman wie ein Überraschungsei. Weil ich nie weiss, was im nächsten Kapitel steckt. Ein Happy-Hippo-Figürchen mit Sammlerwert? Oder nur ein billiges Plastikspielzeug für die Tonne? Egal. Hauptsache süsse Schokolade.
- Überraschend. Die Autorin spielt mit meinen Leseerwartungen, die sie am Schluss bricht. Kompliment. Denn ich hatte schon Angst, dass es kitschig wird.
Daumen runter
- Blass. Lappert zwingt mich aufs Dach. Sie zeichnet ihre Springerin so blass, dass ich mich nur auf dem Dach - in schwindelerregender Höhe - in sie hineinversetzen kann. Dabei hätte mich gerade diese Figur vom Psychologischen her besonders interessiert.
- Überladen. 11 Charaktere, in sich abwechselnden, kurzen, schnell aufeinanderfolgenden Kapiteln. Da wächst die Spannung aus dem Challenge heraus, den Faden nicht zu verlieren.
- Belanglos. Gewisse Geschichten sind mir zu banal, zu stereotyp und zu klischiert. Lappert schreibt plot driven. Die Zeichnung der Charaktere kommen dabei zu kurz. Die Dinge ereignen sich nicht wie von selbst: durch die Anlagen, die Absichten und das Handeln der Figuren. Ich fühle mich daher als Leserin unterfordert.
Die Autorin
Simone Lappert, geboren 1985, lebt in Basel und Zürich. Sie studierte am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. 2014 erschien ihr Debütroman «Wurfschatten», der auf der Shortlist des aspekte-Preises stand. Sie wurde mit dem Wartholz-Preis als beste Newcomerin ausgezeichnet.
Das Buch: Simone Lappert: «Der Sprung» (Diogenes, 2019)
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