Surab, 31, arbeitslos, Vater von zwei Kindern, hängt zu Hause rum und langweilt sich. Doch dann zieht im Block gegenüber ein Stricherjunge ein. Er heisst Schotiko. Surab beginnt ihn zu beobachten. Wird zum Spanner, magisch angezogen vom Leben des andern. Eines Nachts wird er Zeuge, wie Schotiko von einem seiner Liebhaber umgebracht wird.
Er eilt zu Hilfe. Überall ist Blut. Doch der junge Mann ist tot. Surab schaut auf den leblosen Körper hinunter. Schön ist er, denkt er:
«Der Körper scheint wie mit Absicht so sorgsam hingebettet zu sein, mit dem Kopf auf dem Teppich, damit sich rings um ihn herum das Blut zu einem Glorienschein sammelt. Nein, kein Glorienschein, eine Blüte, eine frisch gepflückte Blume, deren Farben noch nicht stumpf geworden sind. Nach wie vielen Minuten verfärbt sich Blut, wann wird es dunkler? Wann verliert sich sein Geruch?»
Surab legt seinen Kopf auf die Brust des Toten. FIZZ. Ein Blutschwall spritzt ihm ins Gesicht. Und Surab wird bewusst, «dass er ein anderer Mensch geworden ist».
Daumen rauf
- Raffiniert und spannungsreich. «Farben der Nacht» ist kein Krimi, sondern ein literarisches Meisterwerk des Suspense. Die Geschichte ist aus sechs Perspektiven erzählt. Häppchenweise erfahre ich, was es mit Surab, dem toten Stricherjungen Schotiko und dessen Liebhaber Merab auf sich hat.
- Ausdrucksstark. Davit Gabunia schreibt in Bildern, die wie gestochen scharfe Nahaufnahmen wirken. Beispielsweise wie er Blutgeruch beschreibt: «Diese in der Luft schwirrenden Moleküle. Sie geraten mir in Nase und Hals. Und das schlimme daran: Blutgeruch in die Nase zu bekommen ist genauso wie Blut trinken.» Würg.
- Vielschichtig. Ich erfahre, was Gabunias Figuren in ihrem Innersten antreibt: ihre Sehnsüchte und Hoffnungen. Dafür setzten sie sogar ihr Leben aufs Spiel. Surab für Geld, Tina für eine Amour fou, Tinas Geliebter Nuri für Demokratie und Schotiko und sein Geliebter Merab für sexuelle Freiheit.
- Schockierend. Der Autor enthüllt die Mechanismen, die Schotiko in den Augen von Surab zum «Arsch», zur «Scheissschwuchtel» zum «Ficker» und zum «Schwulenarsch» machen und schockiert damit. In der immer heftiger werdenden Wortwahl von Surab sieht man seine immer stärkere Radikalisierung. Grund ist der psychische Druck, der auf ihm lastet ausgelöst durch: Vorurteile, Stress, Perspektivenlosigkeit, Beziehungsprobleme, sexuellen Frust, schlechtes Gewissen, Mitwisserschaft und unterdrückte homoerotische Gefühle.
Daumen runter
- Nur 189 Seiten dünn ist «Farben der Nacht».
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Der Autor
Davit Gabunia ist 1982 geboren. Er gilt als wichtigster jüngerer Dramatiker in Georgien und wurde mehrfach mit den bedeutendsten Theaterpreisen des Landes ausgezeichnet. Sein Stück «Tiger und Löwe» hatte 2018 am Staatstheater Karlsruhe Premiere. Davit Gabunias lang erwarteter erster Roman machte in Georgien Furore. Presse und Publikum waren begeistert.
Das Buch: «Farben der Nacht» (2018, Rowohlt Berlin)
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