Reinhold Messner steht auf Elephant Island. An dem Ort, an dem 1916 die gestrandeten Männer unter der Führung von Frank Wild auf Rettung gewartet haben. Der Boden ist glitschig. Der Wind dröhnt in den Ohren. Messner zittert. Er glaubt, das Gemurmel der Männer von damals zu hören:
«Beruhige dich, sage ich zu mir selbst und wie zum Trost: Sie sind alle gerettet worden. Die Story, dass der grosse Abenteurer Ernest Shackleton ihr alleiniger Retter gewesen sei, hätte sich verfestigen können, weil seine Überfahrt nach Südgeorgien, um Hilfe zu holen, aufregender klang als das Ausharren der Zurückgelassenen auf Elephant Island. Ich aber weiss, dass Ausharren schlimmer ist, als etwas zu tun. Weil Ängste beim Handeln schrumpfen, beim Abwarten aber sich steigern. Nur weil die Mannschaft Frank Wild vertraute, konnte er sie am Leben halten.»
Doch wie gewinnt einer das Vertrauen seiner Leute und kann dieses hochhalten? Selbst dann, wenn Rettung aussichtslos erscheint? Messner kann Frank Wilds Überlebenskunst nicht wirklich erklären. Aber er kann seine Lebensgeschichte überzeugend nacherzählen.
Daumen rauf
- Die Endurance-Antarktis-Expedition von Polforscher Ernest Shackleton und seinem Fellow Frank Wild ist legendär und eines der eindringlichsten Abenteuer überhaupt. Allein das macht Messners Buch packend.
- Psychologisch stark: «Wild» kreist im Kern um das Vertrauen in Führungspersönlichkeiten. Wer auf Augenhöhe mit seinen Leuten spricht, Verständnis für ihre Situation aufbringt und sich in Krisen empathisch zeigt, der gewinnt uneingeschränktes Vertrauen. Hmmm. Gut zu wissen, nicht wahr, liebe Managerinnen und Manager?
- Reinhold Messner polarisiert. Die einen halten ihn für verrückt, die andern bewundern ihn. Nach der Lektüre von «Wild» verstehe ich ihn besser. Er tickt wie alle anderen Abenteurer und Antarktis-Durchquerer vor ihm. Scott, Amundsen, Shackleton und Wild sind Adrenalin-Junkies: Im Moment der Gefahr fühlen sie sich lebendig. Aber nicht alle können damit umgehen. Für Wild waren die vier Monate auf Elephant Island von einer solchen Intensität, dass ihm danach der Lebenssinn abhanden gekommen ist. Bugger this!
Daumen runter
In «Wild» schickt uns Messner in die antarktische Kälte. Mir macht das nichts aus. Ich hab ja meine dicke, neongrüne Daunenjacke. Was mich aber wirklich schlottern lässt: Dieses Buch ist eine literarische 'Unter Null'. Reinhold Messners Dialoge sind gespreizt. Künstlich. Sie haben zu viel Pathos. Ich höre Messner zwischen den Zeilen und nicht Wild oder Shackleton. Und dann ist das Ganze redundant. Das nervt. Immer wieder kommen die gleichen harten Fakten, langweilig erzählt vom immer gleichen harten Mann.
Das ist ein derart gewichtiger Makel, dass alle Argumente für «Daumen rauf» zu schwach sind für eine bessere Wertung.
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Der Autor
Reinhold Messner, geboren 1944, ist einer der berühmtesten Bergsteiger und Abenteurer unserer Zeit. 1989/90 gelang ihm zusammen mit Arved Fuchs die Durchquerung der Antarktis. Heute kämpft Messner als Autor und Filmemacher für einen ökologisch nachhaltigen Umgang mit der Natur.
Das Buch: Reinhold Messner: «Wild» (2017, S. Fischer)
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