«ICH HEISSE SAUL INDIAN HORSE. Meine Familie gehört zum Fish-Clan der nördlichen Ojibwe. Wir haben uns in den Gegenden am Winnipeg River angesiedelt, wo der Fluss breit wird. Man sagt, unsere Wangenknochen sind aus jenen Granitkämmen gemeisselt, die sich über unserer Heimat erheben. Und das tiefe Braun unserer Augen ist aus der fruchtbaren Erde gesickert, die unsere Seen und Sümpfe umgibt. Die Alten sagen, dass unser langes glattes Haar vom wogenden Gras kommt, das an den Ufern unserer Buchten wächst. Unsere Legenden erzählen, wie wir aus dem Bauch unserer Mutter Erde gekommen sind.»
Saul Indian Horse, 35, Alkoholiker, hat keinen Stolz und keine Träume mehr. Seine beispielslose Hockeykarriere hat er hingeschmissen. Als Rothaut auf dem Eisfeld erniedrigt und verschrien, hat er für das Publikum den wilden Schläger gemimt.
Wut, Selbsthass und quälende Erinnerungen an seine Kindheit zerfressen ihn. «ALLES, WAS ICH VOM Indianersein wusste, starb im Winter 1961, als ich acht Jahre alt war.» Damals brachte man ihn in die St. Jerome’s Residential School und prügelte aus ihm die Muttersprache, den Glauben und die Kultur seines Volkes heraus. «Ich habe mal gelesen, dass es Löcher im Universum gibt, die alles Licht und alle Himmelskörper verschlucken. St. Jerome’s nahm alles Licht aus meinem Leben.»
Als Saul Indian Horse realisiert, dass der Alkohol, den er zum Überleben braucht, ihn umbringt, nimmt er Hilfe an. In einer Einrichtung für Angehörige der First Nations wird er trocken und schreibt seine Lebensgeschichte auf.
Daumen rauf
- Mitreissend. Richard Wagamese ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Bildstark und eindringlich bringt er mir die Legenden seines Volkes näher. Seinen Roman lesen heisst, sich in das Schicksal der Ojibwe-Indianer hineinzuversetzen.
- Aufschäumend. Die Story beginnt in ruhigem Fluss. Doch schon bald lauern Stromschnellen und stürzen Wasserfälle tosend in die Tiefe.
- Ausschwemmend. Dieser Roman erodiert Kanadas Gründungsmythos als freiheitlich aufgeklärte Nation. Er erzählt die Geschichte der Ureinwohner Nordamerikas mit der Stimme derjenigen, die zum Schweigen gebracht worden sind.
- Aufwühlend. Ich spüre die Dringlichkeit in Richard Wagameses Schreiben. Sein Roman weist viele autobiografische Bezüge auf. Als der Autor drei Jahre alt war, liessen seine alkoholabhängigen Eltern ihn und seine Geschwister mitten im Winter alleine in der Wildnis zurück. Durch den Schneesturm schafften es die Kinder in den nächstgelegenen Ort, wo sie in Pflegefamilien gegeben wurden. Dieses traumatische Ereignis greift Wagamese in «Der gefrorene Himmel» auf.
Daumen runter
- Renaturiert. Eigentlich wäre gegen die Wiederherstellung eines naturnahen Flusslaufs nichts einzuwenden. Doch bei Wagamese bildet der Fluss zu viele Schleifen. Sein Roman will alles sein: Vergangenheitsbewältigung, Legendensammlung, Anklageschrift, Coming-of-Age-Geschichte und ein Buch über Eishockey!
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Der Autor
Richard Wagamese wurde 1955 im Nordwesten Ontarios geboren. Er gehört zu den bedeutensten Schriftstellern und indigenen Stimmen Kanadas. Er veröffentlichte fünfzehn Bücher, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. Richard Wagamese starb im Jahr 2017.
Das Buch: Richard Wagamese: «Der gefrorene Himmel» (Blessing, 2021)
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