Wer in der Schweiz Asyl beantragen will, muss glaubhaft machen können, dass die Asylgründe laut Art.3 des Schweizer Asylgesetzes gegeben sind. Bei der Anhörung beim Staatssekretariat für Migration (SEM) steht somit einiges auf dem Spiel.
Wem es gelingt, seine Gefährdung im Herkunftsland «glaubwürdig und widerspruchsfrei» zu schildern, verbessert seine Chancen auf einen positiven Asylentscheid. Entschieden wird im Einzelfall und nicht aufgrund der Situation im Herkunftsland. Es stellt sich somit die Frage: Haben gute Erzählerinnen und Erzähler bessere Chancen auf Asyl?
Im Dokumentarfilm «Die Anhörung» sucht Regisseurin Lisa Gerig nach Antworten auf diese Frage. Bei ihrem freiwilligen Engagement im «Solinetz Zürich» hat sie Asylsuchende kennengelernt, die diese schwierige Situation durchlebt haben. Dass der Verlauf der Anhörung über die Zukunft von Menschenleben mitentscheidet, hat sie dazu bewogen, diesem Verfahren auf den Grund zu gehen.
Realitätsgetreue Nachstellung
Für den Film wurden Asylanhörungen mit Personen in ihrer realen Rolle nachgestellt. Die Mitwirkenden spielen sozusagen sich selbst und erzählen ihre realen Geschichten. Schauplatz des Filmes sind nachgestellte SEM-Büroräumlichkeiten in Altstetten (ZH). Vier Asylsuchende durchlaufen dort zum zweiten Mal eine Anhörung.
Die Zuschauer erhalten Einblick in ein sonst nicht öffentliches Verfahren.
Anwesend sind auch je eine befragende Person der Behörde, eine Dolmetscherin, eine Person aus einem Hilfswerk und jemand, der über alles genau Protokoll führt – so wie es auch bei einer echten Anhörung der Fall sein würde.
Es war nichts geskriptet, die Mitwirkenden haben sich noch nie zuvor gesehen und die SEM-Mitarbeitenden haben die Anhörung so gestaltet, als wären sie ganz normal zur Arbeit gekommen. «Die Zuschauer erhalten Einblick in ein sonst nicht öffentliches Verfahren», erklärt Gerig.
Rollentausch
Im Verlauf des Filmes wird der Spiess umgedreht und die Asylsuchenden schlüpfen in die befragende Rolle. Es sei ihr von Anfang an klar gewesen, dass eine solche Umkehrung natürlich nur bedingt funktioniere und für die SEM-Mitarbeitenden deutlich weniger auf dem Spiel stehe, berichtet Lisa Gerig.
Trotzdem sei ihr wichtig gewesen, einen Raum für Reflexion zu öffnen. «Wir wollten die Machtdynamiken veranschaulichen und den Asylsuchenden die Möglichkeit geben, mitzuteilen, wie es sich anfühlt, auf der anderen Seite zu sitzen.»
Diskussion anregen
Die Anhörung bildet den Kern des Asylverfahrens, aufgrund dessen entschieden wird, ob jemand bleiben kann oder nicht. «Mit dem Film möchte ich informieren, wie dieses wegweisende Verfahren abläuft», so Gerig.
Sie hofft, damit eine Diskussion anzuregen. «Wenn wir wissen, wie das System funktioniert, können wir auch darüber diskutieren, ob es so richtig ist und den Menschen Gerechtigkeit widerfährt.»
Ich freue mich über die Nominierung zum Schweizer Filmpreis. An der Situation der Asylsuchenden ändert das aber wenig.
Der Film «Die Anhörung» ist nominiert für den Schweizer Filmpreis. Zu ihrer Freude äussert die Regisseurin Lisa Gehrig ambivalente Empfindungen. «Natürlich freue ich mich für den Film und die Aufmerksamkeit, die er damit bekommt. Andererseits ändert das aber noch nichts an der Situation der Asylsuchenden.»
Bei allen vier wurde das Gesuch in erster Instanz abgelehnt. Zwei haben mittlerweile einen positiven Entscheid bekommen, die anderen beiden kämpfen immer noch um einen legalen Aufenthaltsstatus. Eine der Personen wartet mittlerweile seit sechs Jahren auf einen Entscheid.