1956 steckte die Welt mitten im Kalten Krieg. Europa war in West und Ost geteilt – Ungarn zählte zum Ostblock. Als am 23. Oktober eine Gruppe Studenten für demokratische Reformen und mehr Unabhängigkeit von der Sowjetunion auf die Strasse ging, schloss sich ihr spontan eine grosse Menge an. Der Aufstand schwappte in den folgenden Tagen auf weitere Städte über.
Blutiges Ende
Doch der Aufstand währte nur kurz. Als die vorübergehend eingesetzte Regierung unter Imre Nagy den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt erklärte, schlugen am 4. November sowjetische Truppen den Aufstand blutig nieder. In der Folge flohen schätzungsweise 200 000 Ungarinnen und Ungarn in den Westen.
Emotionale Reaktionen in der Schweiz
In der Schweiz verfolgte man die Entwicklungen in Ungarn gebannt. Die Nachricht vom gewaltsamen Ende des Aufstandes löste bei uns Entsetzen, Kriegsangst, Hamsterkäufe und eine Welle der Solidarität aus. Schon vor der Niederschlagung gab es grosse Sammel- und Hilfsaktionen und die Menschen zeigten ihre Solidarität auf grossen Kundgebungen. Höhepunkt fanden die Aktivitäten am 20. November, die Kirchenglocken im ganzen Land läuteten, es folgten drei Schweigeminuten, in denen das öffentliche Leben stillstand und die Fahnen am Bundeshaus auf halbmast wehten.
Die grosse Sympathie der Schweiz mit den ungarischen Aufständischen muss im Zeichen des Kalten Krieges gesehen werden. Viele Schweizerinnen und Schweizer hatten 1956 Angst, dass es ihnen schon bald wie den Ungarn ergehen könnte. Und die ungarischen Flüchtlinge galten bei vielen Menschen als antikommunistische Helden, genau wie später die Flüchtlinge aus der damaligen Tschechoslowakei. Dass die offizielle Schweiz rasch und relativ unkompliziert zwischen 10 000 und 14 000 ungarische Flüchtlinge aufnahm, hatte gemäss unterschiedlicher Forschenden auch damit zu tun, dass damals Fachkräfte gefragt waren.
«Use mit de Russe»
So gross die Solidarität mit den ungarischen Aufständischen damals war, so gross war die Wut auf alles Kommunistische. Nicht nur im fernen Moskau oder Budapest, sondern auch in der Schweiz. An den Demonstrationen erklangen «Use mit de Russe»-Rufe und auf Protestschildern las man «Nieder mit der Sowjetunion».
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Der Hass entlud sich an der russischen Botschaft und der kommunistischen «Partei der Arbeit», ihren Parteilokalen und ihren Mitgliedern. Verschiedene Mitglieder der Partei wurden bedroht. Wie antikommunistisch das Klima damals war, zeigt auch das Beispiel des marxistischen Kunsthistorikers und Publizisten Konrad Farner. Am 13. November veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung in einem Artikel dessen Adresse in Thalwil und meinet dazu, vielleicht könne ja Farner Auskunft geben, nachdem einige PdA-Mitglieder sich kritischen Fragen durch Untertauchen entzogen gehabt hätten. Die Folgen für Farner und seine Familie waren brutal. Ein wütender Mob belagerte sein Haus und jahrelang wurde die Familie beschimpft und boykottiert.
Der Antikommunismus nahm in der Schweiz nach dem Ungarn-Aufstand so richtig Fahrt auf. Um gegen den roten Feind gewappnet zu sein, wurde aufgerüstet. Noch im Dezember verabschiedete das Parlament ein Sofortprogramm zur Beschaffung von Kriegsmaterial. Und der Unteroffiziersverband schulte Interessierte in der Panzernahbekämpfung mit Methoden der ungarischen Freiheitskämpfer. Die Schweiz war damit mitten im Kalten Krieg angekommen.