Könnte man auf das Schweizer Wort des Jahres wetten, dann hätte «Strommangellage» wohl die tiefste Quote gehabt. Die Wahl lag auf der Hand – in der zweiten Jahreshälfte hat die winterliche Energieversorgung den Diskurs in der Schweiz geprägt.
Drohender Strommangel
Das Wort «Strommangellage» verdeutliche die aktuelle Versorgungsunsicherheit, obwohl die Schweiz in den europäischen Stromhandel eingebunden sei, schreibt die Jury. Und auch der Ukraine-Krieg – 2022 ebenfalls eines der prägendsten Themen – trage dazu bei, dass die Angst vor einem «dunklen, kalten Winter in den Schweizer Stuben» umgehe.
Ausserdem sei «Strommangellage» ein spezifisch schweizerisches Wort – in Deutschland oder Österreich ist der Begriff trotz Energiekrise nicht geläufig.
Noch unmittelbarer spiegelt sich der Ukrainekrieg im drittplatzierten Wort «Schutzstatus S» wider: Für Geflüchtete aus der Ukraine hat der Bundesrat erstmals den «Schutzstatus S» aktiviert. So bekamen ukrainische Geflüchtete ein Aufenthaltsrecht ohne ordentliches Asylverfahren.
Debatte um Asyl-Kategorien
Die Entscheidung des Bundesrats sorgte bald für Kritik wegen der Ungleichbehandlung von ukrainischen und anderen Kriegsflüchtlingen – ein weiterer Grund für die starke Verbreitung des Begriffs «Schutzstatus S».
Sprachlich sei das Wort besonders interessant, weil es «menschliches Leid und pure Verwaltungssache» vereine, schreibt die Jury. Ausserdem habe es ebenfalls einen expliziten Schweiz Bezug.
Auf den zweiten Platz hat die Jury «Frauen-Ticket» gewählt. Ein Wort, das in den letzten Wochen viel zu reden gegeben hat: Die SP-Spitze und die SP-Bundeshausfraktion wollen, dass Bundesrätin Simonetta Sommaruga von einer Frau beerbt wird, was mit dem «Frauen-Ticket» sichergestellt werden soll.
Vor allem die Kritik von Daniel Jositsch heizte die Debatte um das «Frauen-Ticket» an.
Gesellschaftliche Debatten nicht vertreten
Nicht auf das «Wort des Jahres»-Ticket haben es zwei breit diskutierte gesellschaftspolitische Begriffe geschafft: «kulturelle Aneignung» und «non-binär». Die Debatten um Geschlechteridentität (mit den Buchpreisen an Kim de l'Horizon) und kulturelle Aneignung (Rastas und Winnetou) waren 2022 besonders präsent.
Auch die Begriffe selber – «kulturelle Aneignung» und «non-binär» – wurden dieses Jahr einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Gemäss Jury-Leiterin Marlies Whitehouse fiel die Abstimmung nur knapp zu Ungunsten von «kulturelle Aneignung» aus. Der eindeutige Schweizbezug von «Schutzstatus S» habe den Ausschlag gegeben.
Auch die Klimakrise fand dieses Jahr keine Erwähnung. Trotzdem bilden die Wörter «Strommangellage», «Frauen-Ticket» und «Schutzstatus S» das Jahr 2022 gut ab, so die Jury.
Deutschschweizer «Wort des Jahres» 2003 bis 2021
1. Platz | 2. Platz | 3. Platz | |
2021 | Impfdurchbruch | Starkregen | entfreunden |
2020 | systemrelevant | Maskensünder | stosslüften |
2019 | Klimajugend | OK Boomer | Flugscham |
2018 | Doppeladler | Rahmenabkommen | 079 |
2017 | #metoo | weglachen | Influencer |
2016 | Filterblase | ||
2015 | Einkaufstourist | ||
2014 | # (Hashtag) | ||
2013 | Stellwerkstörung | ||
2012 | Shitstorm | ||
2011 | Euro-Rabatt | ||
2010 | Ausschaffung | ||
2009 | Minarettverbot | ||
2008 | Rettungspaket | ||
2007 | Sterbetourismus | ||
2006 | Rauchverbot | ||
2005 | Aldisierung | ||
2004 | meh Dräck | ||
2003 | Konkordanz |