Halloween, Gruselgeschichten, Horrorfilme – das Unheimliche zieht Gross und Klein in den Bann. Doch was steckt hinter der Neigung, sich willentlich zu ängstigen? Und wie vereinbaren wir sie mit der harten Realität, in der viele Menschen täglich echten Horror erleben? Lutz Jäncke, Neurowissenschaftler und Hirnforscher der Uni Zürich, ordnet ein.
Was passiert im Gehirn, wenn es gruselt?
Lutz Jahnke: Wenn wir mit einer Situation oder Darstellung konfrontiert werden, die wir als unangenehm empfinden, aber dennoch im Bereich des Ertragbaren liegt, aktiviert unser vegetatives Nervensystem eine erhöhte Herzfrequenz. Dieser Prozess wird vom Mandelkern gesteuert, einem Hirnbereich in den Basalganglien. Der Mandelkern reguliert unser vegetatives Nervensystem massgeblich. Während dieser Reaktion ziehen sich die Hirngefässe zusammen, was den Blutfluss beschleunigt. Gleichzeitig kann sich die Haut aufstellen, begleitet von einer Verengung der Blutgefässe in der Muskulatur.
Wie lässt sich erklären, dass wir uns trotz der schrecklichen Realitäten, die sich in der Welt abspielen, immer noch an Horrorfilmen erfreuen und bewusst Angst suchen?
Tatsächlich ist die Faszination für Horror so alt wie die Menschheit selbst. Schon in der Vergangenheit haben Menschen sich bei schrecklichen Ereignissen wie Hinrichtungen versammelt, um sie anzusehen. Dieses scheinbare Paradox lässt sich jedoch wissenschaftlich recht plausibel erklären. Es gründet sich auf der Tatsache, dass unsere Psyche in der Lage ist, zwei gegensätzliche Emotionen – angenehme und unangenehme – gleichzeitig zu erleben. Dies erzeugt eine Ambivalenz, insbesondere wenn wir die Geschehnisse aus einer sicheren Distanz betrachten. Es ist von entscheidender Bedeutung, zu verstehen, dass es sich hierbei um eine gedankliche Distanz handelt und nicht um ein reales Erleben. Wir finden es faszinierend, wie unangenehme Situationen in Horrorfilmen oder Geschichten dargestellt werden, und dies erzeugt angenehme Gefühle.
Es scheint, als hätten wir ein Bedürfnis nach Erregung und Nervenkitzel.
Menschen leben oft in einem relativ langweiligen Alltag, in dem das Normale vorherrscht. Daher freuen wir uns über besondere Ereignisse und Erregung. Diese Erregung darf jedoch nicht zu stark sein. Den Kick, den wir durch Horrorszenen und ähnliche Ereignisse erfahren, ermöglicht es uns, vorübergehend aus der Normalität auszubrechen und angenehme Gefühle zu erleben. Es ist eine Art von wohligem Gruseln.
Trotzdem kann es sein, dass einige Menschen Horrorfilme schlecht ertragen.
Die Verträglichkeit von Horror variiert von Person zu Person, abhängig davon, wie anfällig sie für angstauslösende Reize ist und ihrer Fähigkeit, mit solchen Ängsten umzugehen. Besonders bei Kindern kann die Wirkung von Horrorgeschichten nachhaltig sein, da sie noch keine Erfahrung im Umgang mit unangenehmen Situationen haben. Es ist wichtig, dass Kinder lernen, mit solchen Ängsten umzugehen.
Es scheint, als würden wir unsere Kinder vor schlimmen Erfahrungen schützen wollen, aber dann schicken wir sie an Halloween auf die Strasse, wo sie mit gruseligen Gestalten und schaurigen Szenen konfrontiert sind. Wie passt das zusammen?
Halloween kann als eine Art Übung angesehen werden, um mit Ängsten umzugehen. Kinder lernen, wie sie unangenehme Situationen handhaben können. Ähnliches gilt auch für Märchen, die ein Wechselspiel von angenehmen und unangenehmen Situationen bieten und Kindern helfen, den Umgang mit Ängsten zu erlernen.