Vorstellen müssen wir ihn bestimmt nicht, den «Tiptopf». Über 2 Millionen Exemplare dieses wohl berühmtesten Schweizer Schulkochbuches sind nämlich seit dessen Erscheinen 1986 verkauft worden. Kaum eine Küche also, in der er nicht griffbereit im «Chuchichästli» oder in der Schulblade liegt. Und auch kaum jemand, der beim Kochen nicht ab und zu den «Tiptopf» zückt. Um nachzuschauen, wie viel Mehl in den Omelettteig oder wie viel Salz ins Spätzliwasser kommt. Der «Tiptopf» ist ein Bestseller sondergleichen und hierzulande vermutlich das einzige Schulbuch, das seit beinahe 40 Jahren in Gebrauch ist und Generationen von Oberstufenschülerinnen und Schülern bei den ersten Kochversuchen begleitet hat.
Der «Tiptopf» neuester Generation
Und da ist kein Ende abzusehen. Jedenfalls ist gerade unlängst ein ganz neuer «Tiptopf» erschienen. Ein komplett neu überarbeitetes Schulkochbuch, bestückt mit zahlreichen neuen Rezepten, QR-Codes, die zu vertiefenden Inhalten führen, «How to»-Videos und Foodbildern, die regelrecht «instagrammable» daherkommen. So weit, so gut oder besser gesagt: so weit, so ungewohnt. Mindestens für all jene, die noch den «Tiptopf» von damals kennen.
Unbekannte Autorinnen
So bekannt der «Tiptopf» ist, so wenig bekannt sind bis heute seine Autorinnen: Fünf Hauswirschaftslehrerinnen: Ursula Schmid und Marianne Keller aus dem Kanton Zürich, Ursula Affolter und Monika Jaun aus dem Kanton Bern und die inzwischen verstorbene Rosmarie Felder aus Luzern. Ab der dritten Auflage kam dann noch eine Ernährungsfachfrau ins Spiel. Gabriele Emmenegger Mayr von Baldegg, welche für den «Tiptopf» das Kapitel Ernährungslehre verfasste.
«Wir hatten zwar alle fünf den selben Beruf, dasselbe Interesse und auch viel gemeinsames Koch-Wissen», erinnert sich Ursula Schmid, «aber die erste gemeinsame Sitzung mit den Kolleginnen von ennet den Kantonsgrenzen ist dann dann doch ein ziemlicher Schock gewesen». Andere Begriffe, andere Vorstellungen, was beispielsweise die Rezeptsprache oder die Gliederung des Rezepte betraf. Sagt man jetzt «Wähe» oder Kuchen? Spricht man ausschliesslich von Dämpfen oder wird unterschieden zwischen Dämpfen und Dünsten? «Da sind dann halt ab und zu auch die Fetzen geflogen» erzählt Marianne Keller. «Aber», ergänzt sie, «wir haben uns am Schluss immer gefunden und nicht nur die einen, sondern alle von uns haben etwas Federn lassen müssen». So mussten zum Beispiel die Zürcherinnen auf ihr «Zürcher Geschnetzeltes» verzichten. Dieses wurde, weil Alkohol als Zutat in einem Schulbuch nichts zu suchen hatte, als simples «Geschnetzeltes» in den «Tiptopf» aufgenommen. Im Gegenzug mussten sich dann dafür auch die Bernerinnen mit einem «Zopf»-Rezept begnügen und auf die Anleitung zu einer original «Berner Züpfe» im «Tiptopf» verzichten.
Gut, weil um Inhalt und Form gerungen wurde
Die stete Auseinandersetzung, sind die beiden Zürcher «Tiptopf»-Autorinnen Ursula Schmid und Marianne Keller überzeugt, seien zwar aufreibend gewesen, hätten aber rückblickend viel gebracht und den «Tiptopf» zu einem qualitativ hochstehenden Lehrmittel gemacht. Einem Lehrmittel beispielsweise mit klarer Rezeptsprache und logisch nachvollziehbarer Zutatenliste. Zu einem Lehrmittel auch, in dem neben den üblichen, auf vier Personen ausgelegten Gerichten, alle Rezepte auch für Ein-Personen-Haushalte berechnet worden seien. Und das schon damals, Mitte der 80er-Jahre! Ein Kochbuch halt, freuen sich heute die beiden Autorinnen Marianne Keller und Ursula Schmid, die für diese Ein-Portionen-Rezepte gekämpft hatten, das damals seiner Zeit ziemlich voraus gewesen sei.
A propos Freude
Diese war riesig, als die fünf Autorinnen nach dem Erscheinen ihres «Tiptopf» dann zum ersten Mal mit dem eigenen, selbstgeschriebenen Lehrmittel vor die Klasse treten und unterrichten durften. Vergessen waren die kräftezehrenden Auseinandersetzungen, all die vielen Frei- und die unzähligen Ferientage, die sie neben dem Unterrichten, schreibend oder kochend für den «Tiptopf» aufgewendet hatten. Nach drei Jahren Arbeit war jetzt geniessen angesagt: Zum Beispiel den Stolz der Schülerinnen und Schüler, die mit dem Kochbuch kochen lernten, das IHRE Lehrerin geschrieben hatte. Oder die Freude und die Komplimente der Kolleginnen aus der ganzen Schweiz, die zum Unterrichten auf der Oberstufe jetzt endlich Lehrmittel zur Verfügung hatten. Aber auch die Begeisterung all derjenigen Menschen, deren Schulzeit schon länger zurücklag und die sich dennoch für den Privatgebrauch einen «Tiptopf» gekauft hatten. Der Pfarrer zum Beispiel, erinnert sich Marianne Keller, der sei eines Morgens ins Lehrerzimmer gekommen und habe gesagt: «Du Marianne, jetzt muss ich dir ein Kompliment für den «Tiptopf» machen. Der kommt für mich nämlich gerade nach der Bibel».