Zwischen dem Bündner Andri Casty und seinen 415 Schafen und dem Restaurant des italienischen Spitzenkochs Paolo Casanova liegt ein knapper Kilometer. Beide arbeiten und leben sie im Engadin. Beide haben sie eine Leidenschaft: Lammfleisch.
Casty – eines von drei Bauernkindern übernahm vor 19 Jahren den Lammzuchtbetrieb von seinem Vater in Zuoz. Sein ganzer Tag dreht sich um Schafe: um die Fütterung, die Vermarktung und die Schlachtung – an sieben Tagen die Woche.
Es sei schlussendlich sein Job, von dem er und seine Familie leben würden. Aber er ist auch persönlich fasziniert von Schafen: «Mich beeindruckt, dass Schafe so lieb und gesellig sind und sie können einem etwas geben.»
Er will fair sein zu den Tieren
Als Lämmer gelten Schafe ab der Geburt bis zum vollendeten sechsten Lebensmonat. Bei Casty entscheidet sich in dieser Zeit: Behalte ich das Lamm zum Weiterzüchten oder schlachte ich es und verkaufe das Fleisch. Casty ist es dabei wichtig, dass die Tiere stressfrei aufwachsen können. Im Sommer sind die Schafe jeweils auf der Alp, im Winter bleiben sie auf dem Hof in Zuoz.
Für ihn ist es ein schöner Kreislauf: «Ich sehe das Lamm auf die Welt kommen und begleite es am Ende in den Tod.» Das Schlachten sei Teil seiner Arbeit. Dabei stehe das Tierwohl für ihn im Vordergrund. Sei es beim Essen, beim Platz oder bei der Schlachtung.
«Bei uns muss es fair sein für die Tiere, nur dann gedeihen sie gut, haben eine gute Fleischigkeit und am Ende merkt man es auch am Geschmack.» Die Tiere bekommen Heu aus der Region, kein Kraftfutter, keine Antibiotika – dafür viel Zeit vom Bio-Bauern. In seinem Stall sind die Tiere nach Alter und Funktion gruppiert. Hat ein Schaf grad Lämmer geboren, hat es seinen eigenen kleinen Stall, um sich der Aufzucht ihrer Jungen in Ruhe widmen zu können.
Das Lamm, das nicht lämmelt
Ein paar Kilometer weiter bereitet Spitzenkoch Paolo Casanova die verschiedenen Stücke vom Andri Castys Lämmern in seiner Küche zu: Der Geschmack vom Fleisch ist ihm sehr wichtig. Im Jahr 2024 zeichnete ihn «Gault Millau» zum «Green Chef of the Year» aus.
Auch hat er mit seinem Restaurant «Chesa Stüva Colani» einen Michelin-Stern. Casanova stammt eigentlich aus den Dolomiten, ist aber 2016 in die Schweiz gezogen und eröffnete im selben Jahr im Engadiner Dorf Madulain sein Restaurant. Casanova gehört zu der Art von Köchen, die seine Produzenten persönlich kennen und am liebsten mit Produkten aus der Region arbeiten: «Am liebsten aus null Kilometer Entfernung.»
Der Koch sammelt auch für seine Gerichte die Kräuter in der Natur. Dafür eigne sich das Engadin perfekt. Zudem verarbeitet Casanova nicht immer nur die beliebtesten Stücke von einem Tier, sondern probiert Rezepte aus, die zum Beispiel auch das Herz vom Lamm beinhalten.
Nachdem Casanova sein Restaurant eröffnet hat, war Casty der erste Bauer, der ihn besuchte und überzeugte: «Das Lamm von Casty schmecke besonders. Man merkt, dass das Tier keinen Stress hatte und auf dem eigenen Hof geschlachtet wurde. Manches Lamm ist sehr intensiv im Geruch und Geschmack. Das von Casty ist zart und ‹lämmelt› nicht.»