Die Corona-Krise hat das Geschäft mit Kreuzfahrten praktisch lahmgelegt. Tourismus-Experte Jürg Stettler rechnet damit, dass die Pandemie die Branche längerfristig verändert.
SRF: Die gesamte Tourismusbranche wurde von der Corona-Krise hart getroffen. Inwiefern leidet das Geschäft mit Kreuzfahrten besonders?
Jürg Stettler: Diese Form von Reisen – viele Menschen für lange Zeit auf beschränktem Raum, dazu das Szenario einer Quarantäne ohne Fluchtmöglichkeiten – ist zu Corona-Zeiten besonders problematisch.
Hinzu kommt, dass die Corona-Risikogruppe der Zielgruppe von Kreuzfahrt-Anbietern sehr ähnlich ist. Kreuzfahrten zielen in der Tendenz auf ältere, wohlhabende Menschen. Diese überlegen sich eine Kreuzfahrt nun aber doppelt.
Wie existenzbedrohend ist die Situation für die Branche?
Kurzfristig können viele Anbieter die Krise überstehen. Kreuzfahrten haben in den letzten Jahren stark geboomt und so konnten die Anbieter entsprechende Rückstellungen machen.
Das Problem ist die mittel- und längerfristige Perspektive. Hier sehe ich einen massiven Druck auf die Schifffahrtsgesellschaften zukommen. Es wird entscheidend sein, ob oder wie es staatliche Unterstützungen für die Industrie gibt.
Welche Rolle spielt der Imageschaden, welcher durch die Meldungen über die Infektionsherde auf Kreuzfahrtschiffen, entstanden ist?
Das ist schwierig abzuschätzen und vor allem auch abhängig davon, wie sich die Pandemie entwickelt und wann ein Impfstoff verfügbar sein wird. Man muss aber sagen, dass die Kreuzfahrt zuvor schon unter Druck gekommen ist: Mangelnde Nachhaltigkeit oder der Übertourismus – etwa in Destinationen wie Venedig – wurden zunehmend kritisiert.
Dennoch wurden gleichzeitig neue Schiffe gebaut. Dies wird wohl zu massiven Überkapazitäten führen und damit früher oder später auch zu Konkursen.
Venedig und ähnliche Destinationen haben in der Corona-Krise ein völlig anderes Gesicht erhalten – ohne die Touristenmassen in den Strassen. Kann dies zu einer Neuausrichtung führen?
Das ist zu erwarten. Diese Küstenstädte können nun neue Standbeine aufbauen und sind damit weniger abhängig vom Kreuzfahrt-Tourismus.
Dementsprechend könnte es dann neue Regulierungen geben für die Kreuzfahrt, indem beispielsweise eine geringere Zahl an Schiffen pro Tag anlegen darf.
Blicken wir zum Schluss auf die Schweiz. Sie hat auf den ersten Blick wenig Verbindung zur Kreuzfahrt. Gerade hierzulande gibt es aber auch Veranstalter von Flussschiffahrten mit kleineren Schiffen. Sehen Sie hier ähnliche Szenarien?
Innerhalb der Branche kann man sicherlich differenzieren. Ich gehe davon aus, dass Anbieter mit kleineren Schiffen – wie in der Flussschifffahrt – auch in Zukunft existieren.
Für sie ist es leichter, Angebot und Route anzupassen oder ihre Schiffe nachhaltiger zu machen. Anders gesagt: Die kleineren Schiffe werden eher eine Zukunft haben als die ganz grossen Kreuzfahrtschiffe.
Das Gespräch führte Vera Büchi.