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Der «Bahnhofbuffet-Olten-Dialekt»
Aus Dini Mundart vom 26.09.2024.
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Bahnhofbuffet-Olten-Dialekt «Wir unterscheiden ‹gute› und ‹weniger gute› Sprechweisen»

Immer mehr Leute sprechen einen Dialektmix, der sich nicht richtig verorten lässt. Warum stört das viele Menschen? Dialektologin Helen Christen ordnet ein.

Helen Christen

Emeritierte Professorin für germanistische Linguistik

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Helen Christen ist emeritierte Professorin für germanistische Linguistik an der Universität Freiburg i. Ü. und eine der wichtigsten Dialektologinnen der Schweiz. Die Luzernerin hat unter anderem dazu geforscht, wie Menschen Dialekte wahrnehmen und einordnen.

Bild: unifr.ch

SRF News: Was ist der Bahnhofbuffet-Olten-Dialekt?

Helen Christen: Es ist eine Vorstellung in unseren Köpfen. Eine Vorstellung von Dialekten, die man nicht zuordnen kann: Ist das jetzt Ostschweiz oder Zürich oder Bern? Wenn man jemanden trifft, dessen Dialekt man nicht lokalisieren kann, dann sagt man: «Du redest ja einen Bahnhofbuffet-Olten-Dialekt!»

Und warum muss gerade das Bahnhofbuffet Olten als Symbol für einen undefinierbaren Dialektmix herhalten?

Olten liegt ja quasi in der Mitte von Zürich, Bern und Basel. Die Züge aus allen Richtungen treffen sich dort. Und dann kommt noch dazu, dass auch die Dialekte aus der Gegend um Olten als wenig markant wahrgenommen werden. Darum passt das Bild ganz gut, finde ich.

Aber der Bahnhofbuffet-Olten-Dialekt ist nicht identisch mit dem Oltner Dialekt, oder?

Auf keinen Fall! Da würden sich die Oltnerinnen und Oltner schön wehren, wenn man so etwas behaupten würde.

«Bahnhofbuffet-Olten-Dialekt» gilt als eher abwertende Bezeichnung. Warum?

Es gibt in der Deutschschweiz eine Ideologie, die sagt, dass jeder Ort einen eigenen Dialekt hat und dass das auch etwas sehr Gutes und sehr Schönes ist, das man, wenn möglich bewahren sollte. Einen «Mischdialekt», der diesem Ideal des Ortsspezifischen nicht entspricht, findet man darum nicht so toll.

Das Spezielle in der Deutschschweiz ist, dass alle Dialekt reden – unabhängig von ihrer sozialen Stellung.

Das hat ja auch viel mit der Vorstellung von «reinen» Dialekten zu tun. Woher kommt diese Ideologie?

Das Spezielle in der Deutschschweiz ist, dass alle Dialekt reden – unabhängig von ihrer sozialen Stellung. Und trotzdem haben wir das Bedürfnis, «qualitätvolle» von «nicht qualitätvoller» Sprache zu unterscheiden. Anstatt wie in anderen Sprachgemeinschaften die Dialekte abzuwerten, unterscheiden wir innerhalb des Dialekts «gute» und «weniger gute» Sprechweisen.

Nach welchen Kriterien?

Was man als «alt» ansieht und was vom Standarddeutschen abweicht, wird aufgewertet. Auch regionale Eigenheiten sind positiv konnotiert. Neue Einflüsse hingegen – Anglizismen, Teutonismen, Arabismen etc. ­– werden abgewertet.

Mir fällt auf, dass viele Leute stolz auf einzelne Wörter verweisen, die ihren Dialekt angeblich ausmachen, zum Beispiel «Fazenettli». Dabei ist das ja auch ein Fremdwort, und nicht älter als wenige hundert Jahre …

Das spielt gar keine Rolle. Es wird als «alt» wahrgenommen. Und es existiert nicht im Standarddeutschen. Solche Wörter knüpft man sich quasi ans Revers: Wir haben einen besonderen Dialekt und dazu gehört dieses und jenes Wort. Auch wenn man sie im Alltag vielleicht gar nicht gross verwendet.

Ein Durchschnittsschweizerdeutsch zeichnet sich aktuell nicht ab.

Nun geht ja die Angst um, dass wir eines Tages tatsächlich alle eine Art Durchschnittsschweizerdeutsch sprechen. Ist die berechtigt?

Diese Befürchtung gibt es schon lange, und sie hat sich bisher nicht bewahrheitet. Zwar gleichen sich die Dialekte im Wortschatz tatsächlich an. Aber am Klang können wir sie immer noch leicht auseinanderhalten, wenn wir zum Beispiel im Bahnhofbuffet sitzen und den Leuten zuhören. Ein Durchschnittsschweizerdeutsch zeichnet sich aktuell nicht ab.

Das Gespräch führte André Perler.

Radio SRF 1, «Dini Mundart», 27.9.2024, 09:40 Uhr ; 

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