Der Konjunktiv II ist im Schweizerdeutschen besonders oft zu hören: «I hätt gärn...», «Chönntisch vilicht...?», «Mir nuumte de no es Bier, wenn's gieng.» Er ist in unserem Land so beliebt, dass einige gar vom «Schweizer Bedürfniskonjunktiv» sprechen.
Wenn wir etwas wollen, beziehungsweise möchten(!), verwenden Schweizerinnen und Schweizer viel öfter den Konjunktiv II als etwa Deutsche («Ich krieg 'n Bier!»). Es scheint, dass wir lieber in Möglichkeiten und Bedingungen sprechen, dass wir es bevorzugen, im Vagen zu bleiben statt Klartext zu sprechen.
Schweizerdeutsche Formenvielfalt
Nicht nur die Verwendung des Konjunktiv II ist im Schweizerdeutschen viel häufiger als im Standarddeutschen, sondern auch seine sogenannt «starken» Formen: Allein zum Verb «gehen» hört man im Schweizerdeutschen mindestens folgende Konjunktiv II-Formen «gieng», «gangi», «göng», «göcht», «gueng», «güeng» und «gungti» – vermutlich gibt es noch mehr. Im Standarddeutschen gibts dafür nur eine Form: «ginge» ...
Ausserdem hört man in einigen schweizerdeutschen Dialekten starke Konjunktiv-II-Formen für Verben, die eigentlich schwach sind, und umgekehrt. So gibt es etwa zu «machen» neben der schwachen Form «machti» auch die starke Form «miech» (standarddeutsch nur «machte») - oder zu «bieten» «bieteti» neben «böti» (standarddeutsch «böte»).
Präteritum aufgegeben
Woher kommt diese schweizerdeutsche Formenvielfalt beim Konjunktiv II? Es hat wohl vor allem mit einer anderen grammatischen Form zu tun: der Vergangenheitsform Präteritum. Die Konjunktiv-II-Form eines Verbs ist nämlich in der Regel von der jeweiligen Präteritum-Form abgeleitet.
Nun gaben aber vor etwa 400 bis 500 Jahren die allermeisten schweizerdeutschen Dialekte das Präteritum auf – die letzten folgen im 19. Jahrhundert. Seither sagt man nicht mehr «es rägneti geschter» (es regnete gestern), sondern nutzt das Perfekt: «es het geschter grägnet».
Ohne die Orientierung am Präteritum waren sich offenbar viele Sprecherinnen und Sprecher nicht mehr über die «korrekten» Konjunktiv-II-Formen im Klaren und schufen neue Formen. So konnte in den letzten Jahrhunderten die grosse Vielfalt entstehen.
Umschreibung mit «würde» boomt
Da sich Präteritum- und Konjunktiv-II-Form bei den schwachen Verben nicht unterscheiden («machte», «sagte», ...), kann es da im Standarddeutschen, welches das Präteritum weiterhin verwendet, zu Verwirrung kommen. Als Ausweg bietet sich die Umschreibung des Konjunktiv II mit «werden» an: statt «ich machte das» «ich würde das machen». Diese Form hört und liest man im Standarddeutschen in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer öfter.
Auch in der Deutschschweiz wird die «werden»-Umschreibung immer beliebter. Der simple Grund: So muss man sich, angesichts der ganzen Formenvielfalt, nur noch eine einzige Konjunktiv-II-Form merken, nämlich «würde». Diese lässt sich dann problemlos mit allen Verben kombinieren.
So hat die Aufgabe des Präteritums als Vergangenheitsform also eine grosse Formenvielfalt im schweizerdeutschen Konjunktiv II ausgelöst – und diese Vielfalt wiederum führt nun dazu, dass die «werden»-Umschreibung an Beliebtheit gewinnt. So verändert sich Sprache fortlaufend.