Plötzlich horcht man auf im Bus, auf dem Trottoir oder an der Kasse: «Das isch de Maa, dä ich geschter gseh ha.» Wo die meisten ein «wo» erwarten würden, kommt vor allem bei jungen Leuten oft ein Pronomen.
Schweizerdeutsch (traditionell) | Neuer Einfluss | Hochdeutsch |
«De Maa, wo ich gseh ha.» | «De Maa, dä ich gseh ha.» | «Der Mann, den ich gesehen habe.» |
«D Frau, wo bi üs wohnt.» | «D Frau, die bi üs wohnt.» | «Die Frau, die bei uns wohnt.» |
«S Huus, wo si bbout het.» | «S Huus, das si bbout het.» | «Das Haus, das sie gebaut hat.» |
Die universell einsetzbare schweizerdeutsche Relativpartikel «wo» erhält also Konkurrenz – und die kommt eindeutig aus dem Hochdeutschen.
An einigen Orten wackelt das «wo»
Personen mit anderer Muttersprache lernen oft Schweizerdeutsch und Hochdeutsch gleichzeitig. Darum verwenden sie tendenziell häufiger die hochdeutschen Relativpronomen als Muttersprachlerinnen.
Aber auch manche Muttersprachler verwenden Relativpronomen anstelle von «wo». Und zwar nicht nur junge: Der «Syntaxatlas der deutschen Schweiz» (SADS) zeigt, dass schon Anfang der Nullerjahre in der ganzen Deutschschweiz einige Befragte das Relativpronomen dem «wo» vorzogen.
Und dies nicht etwa in den Städten, sondern in Orten wie Mümliswil-Ramiswil, Kaiserstuhl oder Klosters. Befragt wurden ausserdem nur ortsfeste Personen mit Eltern aus derselben Gegend, von denen eher ein «konservativer» Dialekt erwartet wird.
Das «wo»: noch gar nicht so alt
Im Sprachgefühl der meisten Schweizerdeutschsprechenden ist aber weiterhin klar: «wo» ist das einzig richtige Wort, um einen Relativsatz einzuleiten. Genauso auch im Südwesten Deutschlands, wie der «Atlas der deutschen Alltagssprache» zeigt.
Es ist ja auch wahnsinnig praktisch, ein einziges Wort zu haben, mit dem sich alle Relativsätze einleiten lassen – währenddessen muss man die Relativpronomen an Geschlecht und Fall anpassen.
Interessanterweise ist das «wo» in dieser Funktion als Relativpartikel noch gar nicht so alt. Die ältesten (schriftlichen) Belege stammen aus dem 17. Jahrhundert. Davor dominierte wohl «so»: «De Maa, so ich gseh ha.»
Entstanden ist das Relativ-«wo» vermutlich aus der Ortsangabe: «De Ort, wo ich wohne.» «De Maa, wo ich gseh ha.»
Sogar Bundesräte sprachen so
Die Pronomen als Relativpartikel wiederum sind gar nicht so neu im Schweizerdeutschen. Schon im 19. Jahrhundert tauchen in der Mundartliteratur neben «wo» auch «dä, die, das, däm, dere» auf.
Besonders oft verwendeten Politiker diese Relativpronomen – und zwar nicht nur in Reden, die sie beim Sprechen spontan aus dem Hochdeutschen ins Schweizerdeutsche übersetzten, sondern auch in Gesprächen.
Vermutlich wollten Politiker, hohe Beamte oder die Bildungselite mit dieser Anlehnung ans Hochdeutsche ihrem Ausdruck – bewusst oder unbewusst – mehr Gewicht verleihen.
Heute ist das kaum mehr vorstellbar. Politikerinnen und andere Würdenträger bemühen sich, volksnah zu wirken – auch sprachlich.
Kein Sprachzerfall
Ist «De Maa, dä ich gseh ha.» nun korrektes Schweizerdeutsch? Ja! Zwar bleibt die Mehrheit beim «wo», aber für einige, vor allem junge Leute gehören die Relativpronomen zu ihrem normalen Schweizerdeutsch.
Und nicht vergessen: Auch das «wo», das heute ganz normal ist, war vor ein paar Jahrhunderten noch neu und ungewohnt. Die Sprache verändert sich stetig.