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Sprache und Macht Kiew oder Kyjiw?

Immer mehr Städte- und Ländernamen ändern sich. Was steckt dahinter? Es geht um Respekt, aber auch um Deutungshoheit.

Viele Medien – auch SRF – verwenden seit einiger Zeit nicht mehr den Namen «Weissrussland», sondern neu «Belarus». Auch die offizielle Schweiz und Österreich (seit 2019) und Deutschland (seit 2021) verwenden den Namen «Belarus».

Auch auf Weissrussisch, oder eben: Belarussisch heisst das Land offiziell Рэспубліка Беларусь, transkribiert Respublika Belarus , also «Republik Belarus».

«Weissrussland» suggeriert Zugehörigkeit zu Russland

Vor 1991, als Belarus kein eigenständiger Staat war, sondern Teil des Russischen Zarenreichs und später der Sowjetunion, war der russische Name Белоруссия ( Belorussija) geläufig, ins Deutsche übersetzt: Weissrussland.

Zu jener Zeit wurde Russland auch als «Grossrussland» bezeichnet, die Ukraine als «Kleinrussland» und Belarus eben als «Weissrussland». Diese Namen suggerieren, dass die drei heute unabhängigen Staaten Teile eines grossen Russlands seien.

Der Name «Belarus» hingegen bezieht sich nicht auf Russland, sondern wie «Russland» auf die «Kiewer Rus», einen mittelalterlichen Vorgängerstaat der Ukraine, Belarus’ und Russlands. Wörtlich übersetzt heisst «Belarus», «weisse Rus».

Anliegen der Opposition

Zwar verwenden die belarussischen Behörden auch unter dem russlandfreundlichen Diktator Aljaksandr Lukaschenka den Namen Belarus. Aber es ist vor allem die demokratische Opposition, welche sich dafür einsetzt, dass im Ausland «Belarus» statt «Weissrusland» verwendet wird.

Neben westlichen Staaten und Medien verwendet auch die deutsche Wikipedia seit 2020 den Namen Belarus.

«Moldau» statt «Moldawien»

Ebenfalls umstritten ist der Name der Republik Moldau in Südosteuropa. Auch dieser Staat wurde erst 1991 unabhängig, war zuvor Teil des Russischen Zarenreichs, Rumäniens und der Sowjetunion.

In Deutschland und Österreich lautet der amtliche Name «Republik Moldau», in der Schweiz «Republik Moldova», abgeleitet von der moldauischen (rumänischen) Eigenbezeichnung «Republica Moldova». Am geläufigsten ist im deutschen Sprachraum aber der Name «Moldawien».

«Moldau» dominiert in den Medien

In den deutschsprachigen Medien setzt sich seit kurzem mehrheitlich die Bezeichnung «Moldau» durch, so etwa beim Tagesanzeiger , bei der NZZ oder bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung .

Bei SRF kommen aktuell beide Varianten vor. Das Echo der Zeit vom 22. April 2022 entschied sich für «Moldau», die Ausgabe vom 9. Mai 2022 hingegen für «Moldawien» – «der Einfachheit halber, [und] auch um Verwechslungen mit dem Fluss Moldau [in Tschechien] vorzubeugen», wie es hiess.

«Moldawien» ist eine russische Bezeichnung

Letztere Bezeichnung wird von Kennerinnen und Kennern des Landes allerdings kritisiert. Der Schweizer Osteuropa-Historiker Oliver Jens Schmitt sagte kürzlich gegenüber SRF, «Moldawien» sei eine post-sowjetische und damit eigentlich russische Bezeichnung.

Diese Bezeichnung werde von der moldauischen Bevölkerungsmehrheit abgelehnt. Darum solle man den Namen «Moldau» verwenden, welche sich aus der rumänischen Mehrheitssprache ableite, so Schmitt.

Es geht um Respekt und um Macht

Gut möglich, dass sich die Variante «Moldau» auch bei SRF bald durchsetzen wird – analog zu «Belarus» für Weissrussland.

Das Bewusstsein für allenfalls problematische Länder- und Städtenamen hat in den letzten Jahren stetig zugenommen – dies zeigen auch die Diskussionen um «Kiew» vs. «Kyjiw», «Burma» vs. «Myanmar» oder «Bombay» vs. «Mumbai».

Der Respekt gegenüber der Eigenbezeichnung der angestammten Bevölkerung ist ein wichtiger Grund für die Änderung eines Namens. Aber nicht selten geht es auch darum, welcher Konfliktpartei man nähersteht. Denn es ist auch eine Frage der politischen Macht, wer den Namen eines Landes oder einer Stadt bestimmen kann.

Radio SRF 1, Mundart, Freitag 13.5.2022, 9.40 Uhr

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