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Warum man in Hawaii mehrere Mütter und Väter hat
Aus Dini Mundart vom 08.12.2022.
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Verwandtschaftsbezeichnungen Warum man in Hawaii mehrere Mütter und Väter hat

Man könnte denken, dass die Bezeichnung von Verwandten überall so ist, wie bei uns. Doch Verwandtschaftsbezeichnungen unterscheiden sich je nach Sprache stark. Was sie über die jeweiligen Gesellschaften verraten.

Im Hawaiianischen (und vielen weiteren Sprachen) werden Onkel und Tanten gleich benannt wie Mutter und Vater. Und Cousins und Cousinen tragen dieselben Bezeichnungen wie Brüder und Schwestern.

Chinesisch nimmt's am genausten

Das andere Extrem findet sich im Chinesischen: Verwandte werden dort nicht nur – wie im Deutschen – nach Generation, Verwandtschaftsgrad und Geschlecht unterschiedlich benannt. Im Chinesischen spielt es für die Bezeichnung von Verwandten auch eine Rolle, ob sie älter oder jünger als die entsprechende Person sind und ob die Verwandtschaft über die Mutter oder über den Vater besteht.

Das Chinesische kennt also unterschiedliche Bezeichnungen für ältere und jüngere Geschwister. Auch bei den Onkeln und Tanten hängt die Bezeichnung vom relativen Alter in Bezug auf den verwandten Elternteil ab und zusätzlich von dessen Geschlecht.

Schwedisch mit abgeschwächter Form

Eine abgeschwächte Form des chinesischen Systems kennen etwa das Türkische, das Arabische oder das Schwedische. Diese Sprachen verzichten darauf, ältere und jüngere Geschwister zu unterscheiden. Aber sie unterscheiden klar nach dem Geschlecht der Person, über welche die Verwandtschaft besteht.

So heisst der Onkel mütterlicherseits im Schwedischen «morbror» (Mutterbruder) und der Onkel väterlicherseits «farbror» (Vaterbruder). Dieselbe Unterscheidung gilt auch für Tanten, Grosseltern, Enkelkinder, Nichten und Neffen.

Früher auch im Deutschen

Das Schwedische weist damit einen älteren Stand des germanischen Verwandtschaftssystems auf als das Deutsche. Aber auch im Deutschen waren bis vor ein paar Generationen noch unterschiedliche Bezeichnungen für Onkel und Tanten mütterlicher- und väterlicherseits gebräuchlich.

Auf der Mutterseite sprach man von «Oheim» und «Muhme», auf der Vaterseite von «Vetter» und «Base». Diese Ausdrücke wurden jedoch im Laufe der letzten drei Jahrhunderte durch die französischen Bezeichnungen «Onkel» und «Tante» ersetzt, welche nicht mehr nach der Verwandtschaftsseite unterscheiden.

Hinweise auf die Gesellschaftsform

Warum unterscheiden sich die Verwandtschaftsbezeichnungs-Systeme dermassen in ihrer Art und Genauigkeit? Sie widerspiegeln unterschiedliche Familienmodelle.

In einer hierarchiearmen Kultur, in der die Kinder in der Grossfamilie gemeinschaftlich aufgezogen werden, besteht wenig Bedarf nach unterschiedlicher Benennung von Eltern, Onkeln und Tanten. Ausserdem kennen viele dieser Kulturen ein striktes Heiratsverbot zwischen Cousins und Cousinen. Das wird durch die Verwendung derselben Bezeichnung für Brüder und Cousins sowie Schwestern und Cousinen verdeutlicht.

Keine voreiligen Schlüsse!

Ein sehr ausdifferenziertes Verwandtschaftsbezeichnungs-System wie das Chinesische weist hingegen auf eine stark hierarchisierte Gesellschaft hin, in der Macht und Besitz generell vom Vater auf den Sohn übertragen wird (daher auch die Unterscheidung Verwandter mütterlicher- und väterlicherseits).

Allerdings gelten diese Erkenntnisse nicht immer für die heute übliche Gesellschaftsform. Gesellschaftliche Werte können sich verändern, ohne dass sie in der Sprache sofort sichtbar werden.

Radio SRF 1, «Dini Mundart», Freitag, 9.12.2022, 9:40 Uhr

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