Für den 9-jährigen Ralph Wicki war der Samstagnachmittag jeweils der beste Nachmittag der Woche. «In der Pfadi durfte ich wild sein, draussen sein, alles tun, was ich zu Hause nicht durfte. Ich habe Elementares gelernt, zum Beispiel wie man ein Feuer macht, auch bei Regen».
Mit der Pfadi verbindet er bis heute Abenteuer und das Heranwachsen zum Mann. Unvergessen sind für ihn die Pfadi-Taufe, bei der er den von ihm ungeliebten Pfadinamen «Stagi» erhielt und vor allem auch die sogenannten Dreitagesmärsche: «Mit fast nichts zu überleben, in Gotthardzelten übernachten und mit Wasser und Mehl ein Brot backen, das fand ich grossartig».
Ralph Wicki war einige Jahre mit Leidenschaft dabei, wurde auch Fenner, also Gruppenleiter. «Das war noch lustig, aber weiter aufsteigen hat mir nicht so gepasst, ich wollte in der Natur sein, das andere ging dann Richtung Militär und das hat mich weniger interessiert».
In der Pfadi durfte ich wild sein, draussen sein, alles tun was ich zu Hause nicht durfte.
Doch auch wenn seine Pfadikarriere nur ein paar Jahre dauerte und er keine Kontakte mehr zu seinen damaligen Pfadikollegen mehr pflegt, das Pfadi-Virus hat ihn nie ganz losgelassen. «Ich kann zum Beispiel bis heute Morsen, obwohl ich das natürlich nie mache» sagt Wicki lachend. Und seine Fähigkeiten als «Füürli-Meister» mit Pfadiabzeichen braucht er immer wieder. «Ich gehe seit Jahren regelmässig auf eine Art Robinson-Insel. Dort ist es richtig wie in der Pfadi, unbekannte Lebensmittel abkochen, ein Feuer am Leben erhalten, solche Dinge. Kurz: Abenteuer!». So gesehen gilt also auch für Ralph Wicki der häufig gehörte Spruch: «Einmal Pfadi, immer Pfadi».
Wie Ralph Wicki wurden Generationen von Schweizerinnen und Schweizern durch die Pfadi geprägt. Als er um 1970 in der Pfadi aktiv war, gab es die heute grösste Jugendorganisation der Schweiz bereits seit mehreren Jahrzehnten.
Blick ins Geschichtsbuch
Die ersten Pfadigruppen wurden in der Schweiz 1910 gegründet. Die Pfadfinderbewegung breitete sich damals von England wie ein Lauffeuer in die ganze Welt aus. Die Idee dazu hatte mit Lord Robert Baden-Powell ein hochdekorierter britischer Kavallerie-Offizier.
Im Krieg gegen die Buren in Südafrika setzte er 1900 Jungen für Hilfsarbeiten wie Botengänge oder Sanitätsaufgaben ein. Er hielt daraufhin fest, dass sich Jugendliche engagieren und Verantwortung übernehmen, wenn man ihnen Vertrauen entgegenbringt. Dieser Ansatz stand im Gegensatz zum damals vorherrschenden streng autoritären Erziehungsgedanken.
1907 führte Baden-Powell darauf in England ein erstes Pfadilager für Jungen aller sozialen Schichten durch, in dem sie nach dem Motto «learning by doing» viel über die Natur und das Zusammensein als Gruppe lernten. Seine Pfadi-Grundsätze und viele praktische Anleitungen zum Erkunden der Natur brachte er 1908 als Buch heraus. «Scouting for Boys» gilt mit einer Gesamtauflage von über 150 Millionen Exemplaren als eines der meistverkauften Bücher aller Zeiten.
Auch bei der Schweizer Jugend kam Baden-Powells Pfadfinder-Idee gut an. Nach ersten Gruppen in den Städten kamen im ganzen Land Pfadfindergruppen hinzu, die sich schon bald untereinander organisierten. 1913 wurde der Schweizerische Pfadfinderbund gegründet, 1919 folgte der Bund Schweizerische Pfadfinderinnen.
Während dem Ersten und vor allem Zweiten Weltkrieg standen Pfadfinderinnen und Pfadfinder für Hilfsdienste im Einsatz, erledigten Botengänge, Büroarbeiten oder waren fürs Rote Kreuz im Einsatz. Auch Lager für kriegsgeschädigte Kinder organisierten die Pfadfinderinnen und Pfadfinder der Schweiz.
Nach dem Krieg boomte die Pfadfinderei in der Schweiz weiter. Die Umbrüche in der Jugendkultur der 60er Jahre kosteten die Pfadi aber viele Mitglieder. Ab den 70ern blieben die Zahlen dann stabil. Die Mädchen- und Jungenverbände begannen enger zusammenzuarbeiten und schlossen sich dann 1987 zusammen zur Pfadibewegung Schweiz PBS.
Krise der 90er überwunden
In den 1990er Jahren setzte bei der Pfadi, der grössten Jugendorganisation der Schweiz, ein Mitgliederschwund ein. In den letzten 10 Jahren legte die Pfadi nun aber wieder knapp 20 Prozent an Mitgliedern zu und vermeldete jüngst, trotz schwierigen Corona-Phasen, am 8. März 2022 eine Mitgliederzahl von über 50’000 Kindern und Jugendlichen, so viel wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Als nächstes Highlight im Leben der noch aktiven Pfadis steht im Sommer das Bundeslager an, welches nur alle 14 Jahre stattfindet. Ab dem 23. Juli werden sich bis zu 30 000 Pfadis im Goms zwei Wochen in einem Zeltlager treffen und wie einst Ralph Wicki viele Abenteuer erleben und Dinge machen, die sie zu Hause nicht dürfen.