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Frau tippt auf Holograph.
Legende: Gedankenexperiment: Der Zukunftsforscher Georges T. Roos wagt einen Ausblick ins Jahr 2034. Colourbox

Radio SRF 1 Heute in 20 Jahren: Ein Tag im Leben von Claudia (33)

Wir schreiben das Jahr 2034: Im Zimmer von Claudia wird es langsam hell – aus den Lautsprechern an der Decke erklingt Vogelgezwitscher. Begleiten Sie die 33-Jährige durch den Tag. Ein Gedankenexperiment mit dem Zukunftsforscher Georges T. Roos.

Nationaler Zukunftstag

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Anlässlich des nationalen Zukunftstags am 13. November 2014 besuchte der Zukunftsforscher Georges T. Roos Radio SRF 1. Von 6 bis 8 Uhr sprach er darüber, wie wir einmal leben werden. Das Gespräch gibt es hier zum Nachhören.

Claudia ist 33 Jahre alt. Sie lebt mit einem festen Partner in einer Mietwohnung in einer Schweizer Stadt. Sie hat einen festen Arbeitgeber mit einem reduzierten Pensum, zudem betreibt sie als Mitbesitzerin mit zwölf Freunden ein Restaurant. Neben ihrer Hauptbeziehung hat sie verschiedene Lebenspartner für verschiedene Aktivitäten. Kinder hat sie keine.

06:00 - 07:00: Im Schlafzimmer von Claudia wird es langsam hell. Ihr intelligentes Bett hat anhand ihrer Schlafbewegungen erkannt, dass sie in einer Leichtschlafphase ist, und hat die Beleuchtung an der Decke und das leise Vogelgezwitscher im Raum aktiviert.

«Guten Morgen, Iris», sagt Claudia. «Guten Morgen, Claudia», antwortet eine Frauenstimme. «Willst Du wissen, was heute auf Deiner Agenda steht? Um 9 Uhr hast Du ein Meeting in der Stadt. Das dauert bis 11 oder 12 Uhr. Und um 18 Uhr bist Du im Restaurant verantwortlich. Britta vom Service hat sich vor einer halben Stunde krankgemeldet. Soll ich Dir einen Ersatz besorgen?»

Claudia verneint. Ab und zu ist es ihr ganz recht, wenn Sie im Restaurant alleine ist und mal wieder anpacken kann. Bier ausschenken, Kundenbestellungen aufnehmen, Tische abräumen. Die Einsätze im Restaurant sind das perfekte Kontrastprogramm zu ihrem kopflastigen Hauptjob. Claudia arbeitet als Marketing-Fachfrau in einer Firma, die intelligente Kleider entwickelt.

Durch die selbststeuernden Autos gibt es viel weniger Stau als früher.
Autor: Claudia (33) Pendlerin

08:30: Claudia biegt auf die Hauptstrasse ein. Dann holt sie von der Rückbank die Unterlagen hervor, die sie für die bevorstehende Sitzung braucht.

Seit sie sich ein selbstfahrendes Auto gekauft hat, stört sie sich nicht mehr darüber, dass ihr Arbeitsweg mitten durch die Stadt führt. Vor zehn Jahren noch hatte sie sich ernsthaft überlegt, ans andere Ende der Stadt zu ziehen. Unerträglich war der Verkehr in den Stosszeiten gewesen.

Heute pendelt sie gerne. Und es ist einfacher geworden, seit sich der Verkehr wegen flexiblen Arbeitszeiten besser verteilt hat und sich fast jeder ein selbstfahrendes Auto leisten kann. Erst letzte Woche hat sie gelesen, dass sich die höhere Zahl dieser autonom fahrenden Autos positiv auf die Zahl der Verkehrsunfälle auswirkt, weil menschliches Fehlverhalten weggefallen ist.

Seit ein Roboter unsere Sitzung koordiniert, ist die Stimmung im Team viel friedlicher.
Autor: Claudia (33) Marketing-Verantwortliche

09:00: Ein Arbeitskollege von Claudia hat sich via Hologramm in die Sitzung eingeschaltet. Die dreidimensionale Abbildung des jungen Grafikers sitzt lässig auf dem alten Sofa. Weil er seinen Hauptwohnsitz in Kapstadt hat, nimmt er meist virtuell an den Präsentationen teil.

Claudia lehnt sich im Sessel der Wohnzimmer-Lounge zurück und schliesst die Augen. Sie ist froh, dass Roboy die Sitzungen leitet und sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen kann. Denn seit der Roboter mit den grossen Augen die Koordination der Projekte übernommen hat, ist die Stimmung im Team viel friedlicher.

Früher hatte sich der Kollege in Südafrika oft benachteiligt gefühlt und ihr vorgeworfen, dass sie ihm die besten Projekte vorenthalten würde, weil er nur selten am Hauptsitz ist. Diese Diskussionen sind vorbei, seit der Computer nach Leistungskriterien die Aufgaben verteilt. Ihm kann man nicht vorwerfen, dass er Kollegen je nach Sympathie bevorzugen würde.

Der durch künstliche Intelligenz gesteuerte Computer präsentiert dem Team die verschiedenen Produkte, die er bei der letzten Marktanalyse herausgesucht hat: intelligente Kleider, die sich je nach emotionaler und körperlicher Verfassung in Material und Farbe dem Träger anpassen. Wird die Luft wärmer, wird das Material luftdurchlässiger. Fühlt sich die Trägerin mittags unsicher, wechselt der rote Pullover die Farbe zu unscheinbarem grau. Claudia druckt sich ihre zwei Prototypen im 3-D-Drucker aus und schickt sie an ihre Testträger.

Meinem Chef ist es egal, wie lange ich arbeite. Für ihn zählt nur das Resultat.
Autor: Claudia (33) Marketing-Verantwortliche

14:00: Die Sonne scheint, der Sommer kommt. Höchste Zeit, etwas Sport zu treiben, findet Claudia und verabredet sich mit ihrem Freund zum Mountainbiken. Obwohl erst Donnerstag ist, hat sie die Leistungsziele für diese Phase des Projekts schon lange erreicht und der Lohn wurde ihr gutgeschrieben. Ihr Vorgesetzter hat das bestätigt und ihre effiziente Arbeitsweise sogar gelobt. Ihm ist egal, wie lange sie für etwas braucht. Für ihn zählt nur das Resultat.

18:00: Die Terrasse im «2014» ist gut besetzt. Zusammen mit zwölf Freunden hat Claudia das Restaurant vor sechs Jahren eröffnet.

 Ein Mann isst grillierte Insekten aus einer Kartonschale.
Legende: Gesunder Snack. Keystone

Der Name «2014» ist eine Anspielung auf den Businessplan: «Bei uns Speisen Sie, wie Sie es im Jahre 2014 noch getan haben.» Für Claudia ist es der perfekte Kontrast zu den interaktiven Restaurants ohne physisches Tischtuch und digitalem Bestellsystem.

An den Holztischen fühlt sie sich jeweils in ihre Kindheit zurückversetzt – dieses Gefühl will sie den Gästen weitergeben. Die Kellnerinnen nehmen die Bestellung am Tisch auf, das Bier wird in robusten Bügelflaschen serviert und die Produkte kommen von den umliegenden Bauernhöfen. Die exotische Delikatesse im «2014»: frittierte Insekten mit Zitrone.

Sorry Claudia, du darfst nicht mehr Auto fahren. Dein Promillewert ist zu hoch.
Autor: Iris

23:00: «Claudia, du solltest langsam ins Bett, denn morgen musst du früh raus.» Nach einem Abend im «2014» muss sich Claudia jeweils wieder daran gewöhnen, dass Iris existiert. Nach einer intensiven Schicht liebt sie es, den Abend bei einem Glas Rotwein ausklingen zu lassen. Heute waren es zwei. Sie trinkt einen letzten Schluck Rotwein und verabschiedet sich von ihren Freunden.

Im Auto lässt Claudia den Abend Revue passieren. Unvorstellbar, wieviel sich in den letzten 20 Jahren verändert hat, denkt sie. Damals ist man sogar noch selber Auto gefahren. Mit Gangschalten und so. Sie drückt den Knopf «Selbststeuern aus». Doch nichts passiert. «Iris, ich will gerne selber fahren.» Eine Sekunde ist es ruhig. Dann ertönt die Stimme ihrer virtuellen Freundin: «Sorry, Claudia, du solltest heute nicht mehr Auto fahren. Nach den zwei Gläsern Rotwein ist dein Promillewert zu hoch.» Also lässt sich Claudia von ihrem autonom fahrenden Auto heimfahren. Im Bett bespricht sie den nächsten Tag mit Iris. Dann wird es dunkel und leises Meerrauschen setzt ein.

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