Das Schweizer Sexualstrafrecht soll modernisiert werden: Im Februar dieses Jahres präsentierte die Rechtskommission des Ständerates nach monatelangen Diskussionen einen neuen Entwurf. Dieser sieht eine «Nein-heisst-Nein»-Lösung vor, der im April auch der Bundesrat zustimmte. Wer gegen den Willen der anderen Person sexuelle Handlungen vornimmt, macht sich strafbar.
Tatbestand Vergewaltigung: Zwang nicht mehr vorausgesetzt
Das Nein zum Sex kann auch ohne Worte zum Ausdruck gebracht werden. Damit der Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt ist, ist – im Gegensatz zum aktuellen Sexualstrafrecht – kein Zwang mehr vorausgesetzt. Und: Neu können auch Männer Opfer einer Vergewaltigung werden. Auch eine beischlafähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, gilt als Vergewaltigung. Zuvor war die Vergewaltigung auf die vaginale Penetration mit dem Penis beschränkt.
«Nur Ja heisst Ja»: Mehrheit der Schweizer:innen dafür
Sollte der Gesetzesentwurf vom Parlament angenommen werden, erhielte die Schweiz tatsächlich ein fortschrittlicheres Sexualstrafrecht. Doch einigen Kommissionsmitgliedern und Parteien geht die Revision viel zu wenig weit. Grüne und SP fordern schon seit längerem eine «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung. Jede sexuelle Handlung ohne Zustimmung wäre dann illegal. Diese Lösung befürwortet übrigens auch eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer: In einer Studie von GFS Bern im Auftrag von Amnesty International Schweiz sprechen sich 45 Prozent dafür aus. 27 Prozent unterstützten die «Nein-heisst-Nein»-Lösung. Und nur 13 Prozent wollen am aktuellen Sexualstrafrecht gar nichts ändern.
Die meisten Übergriffe geschehen im familiären Umfeld
Eine Studie von Amnesty International aus dem Jahr 2020 kommt zum Schluss, dass viele Länder in Europa – unter anderem die Schweiz – ein veraltetes Sexualstrafrecht hätten: Nur wenn eine Form von Drohung oder Gewalt im Spiel ist, gilt ein sexueller Übergriff als Vergewaltigung. Dabei gingen die meisten Übergriffe nicht von fremden Männern aus, die nachts aus dem Gebüsch springen, sondern von Familienmitgliedern – und dies meistens ohne erkennbare Gewalt, schreibt Amnesty International.
Belgien kennt Zustimmungsprinzip seit 1989
Derweil gilt in 13 europäischen Ländern bereits das Zustimmungsprinzip, unter anderem in Deutschland. Zuletzt hat das spanische Parlament für die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Regel votiert. In Belgien gilt Sex ohne Zustimmung schon seit 1989 als Vergewaltigung. Zum Vergleich: Damals war in der Schweiz die Vergewaltigung in der Ehe noch legal. Erst seit 1992 ist Vergewaltigung auch in der Ehe ein Delikt, erst seit 2004 ein Offizialdelikt.
Bussen für anzügliche Bemerkungen
In Spanien werden künftig nicht nur physische Übergriffe unter Strafe stehen, sondern alle Handlungen, die die sexuelle Freiheit einer anderen Person verletzen, beispielsweise auch das Catcalling, laut Urban Dictionary «anzügliche sexuelle Bemerkungen von Männern gegenüber Frauen auf der Strasse». Auch in Belgien, Portugal und Frankreich werden sexistische Beleidigungen im öffentlichen Raum bestraft – mit Bussen von bis zu 1500 Euro.