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Frühfranzösisch und Frühenglisch: zu früh?
Aus Forum vom 27.06.2024. Bild: Keystone/Christian Beutler
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Spracherwerb für Kinder Frühfranzösisch und Frühenglisch: zu früh?

Heute lernen die Kinder ab der dritten Klasse eine erste Fremdsprache. Ab der fünften Klasse die zweite. Zu viel, sagen Kritiker, die deutsche Sprache komme so zu kurz. Falsch, sagen Befürworterinnen, nach Anfangsschwierigkeiten laufe der Frühfremdsprachenerwerb immer besser.

Am Anfang war der Wunsch: Jede Person in der Schweiz soll eine zweite Landessprache sprechen, forderten Politik und Wirtschaft schon vor über 60 Jahren. Es ging um den nationalen Zusammenhalt. In den 1970er Jahren war es soweit. In vielen Kantonen kam ab der 5. Klasse eine zweite Landessprache dazu. In der Deutschschweiz war das Französisch. Diverse Kantone wollten mittels – chancenloser – Initiativen den Französischunterricht gleich wieder kippen. Zu früh, sagten sie die Kinder, seien überfordert, das bringe nichts.

Oui und Yes in der Schule: Nachdem in den 1990er Jahren nun flächendeckend eine zweite Landessprache in der Schule ab der 5. Klasse eingeführt worden war, kam nun eine zweite Fremdsprache dazu. Englisch ab der 7. Klasse setzte sich fast überall in der Schweiz durch.

Diese Karte zeigt auf, in welchen Kantonen welche Fremdsprache zuerst gelehrt wird.
Legende: Diese Karte zeigt auf, in welchen Kantonen welche Fremdsprache zuerst gelehrt wird. EDK, Swisstopo

Um die Jahrtausendwende: Zu spät beginne der Fremdsprachenerwerb, sagte die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) der Schweiz. Um in Europa konkurrenzfähig zu bleiben, brauche es bessere Fremdsprachenkompetenzen. Frühes Lernen sei aus neuropsychologischen Gründen, namentlich für den Erwerb von Sprachen besonders wichtig.

Fertig mit Kantönligeist: Im März 2004 einigte sich die EDK auf verbindliche Ziele im Fremdsprachenerwerb, die in die interkantonale Vereinbarung Harmos einflossen. Jetzt wurde die Debatte richtig laut, da bis dahin jeder Kanton selbst über die Schulgestaltung entscheiden konnte. Das änderte sich ab Mai 2006 mit der Annahme der revidierten Bildungsartikel in der Bundesverfassung. Nun erlässt der Bund die notwendigen Vorschriften, wenn sich die Kantone nicht einigen. Das gilt auch für den Fremdsprachenerwerb in der obligatorischen Schule.

Diese Karte zeigt auf, in welchen Kantonen welche Fremdsprache als Zweite gelehrt wird.
Legende: Stand heute: Diese Karte zeigt auf, in welchen Kantonen welche Fremdsprache als Zweite gelehrt wird. EDK, Swisstopo

Hitziger Sprachenstreit und entsetzte Romandie: Frühfranzösisch ab der 3. und Englisch ab der 5. Klasse – so entschied die EDK. Doch je weiter weg vom Röstigraben, desto weniger sinnvoll schien Französisch als erste Fremdsprache. «Englisch ist die Sprache der Wirtschaft», betonte der Kanton Zürich. Andere Kantone zogen nach. 2014 tobte der Sprachenstreit in der Schweiz, und die Romandie war konsterniert. «Wo bleibt der nationale Zusammenhalt?», fragten die Romands. Vergebens. Ab 2015 lernte man in der obligatorischen Schule in der Deutschschweiz ab der dritten Klasse die erste Fremdsprache und ab der fünften die zweite – Französisch und Englisch in beliebiger Reihenfolge.

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Bye bye Frühfranzösisch?
Aus Arena vom 12.09.2014.
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Studien über Studien: Studien sollten klären, ob sich Frühsprachenerwerb bewährt. Die Meinungen sind geteilt. Klare Zustimmung: Nur gute Lehrkräfte mit passenden Mitteln können Kinder erreichen. Besser wäre immersiver Unterricht. Eintauchen in die Sprache: zweisprachiger Unterricht wie Mathematik auf Französisch, Singen auf Deutsch usw.

Die Kritik wird wieder lauter: Heute ist der Frühsprachenerwerb wieder Gegenstand heftiger Debatten in den Kantonen. Exponentinnen und Exponenten politischer Parteien ab Mitte bis rechts möchten den Fremdsprachenfrüherwerb am liebsten wieder kippen.

Die Gäste in der Sendung

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Legende: SRF

In der Sendung «Forum» diskutierten am Donnerstag zwischen 10 und 11 Uhr folgende Gäste:

  • Heinz Herzog, Kantonsrat EDU Kanton St Gallen: «Für viele Kinder ist Dialekt die erste Sprache. Hochdeutsch somit die erste Fremdsprache. Zuerst sollte Hochdeutsch gut gelernt werden, bevor man mit der nächsten Fremdsprache beginnt.»
  • Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin des Dachverbandes der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz: «Kinder lernen spielerisch und sind neugierig. Französisch und Englisch, gut unterrichtet, weitet den Horizont der Kinder.»

 

Radio SRF 1, 25.06.2024, 17:20 Uhr

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